eine retroſpektive Discuſſion im Reichstage über die Frage, ob ein deutſch⸗ ruſſiſcher Vertrag im Jahre 1884 im Intereſſe des deutſchen Reiches erwünſcht und richtig war, noch heute lebhaften Anklang in der öffentlichen Meinung finden werde. Die eigene Auffaſſung werde hoffentlich zur vollen Klarheit und Anerkennung kommen, daß die Regierung Kaiſer Wilhelm J. ſich durch die Rück⸗ verſicherung den Dank nicht nur der Deutſchen, ſondern aller übrigen Friedensmächte einſchließlich der Mitglieder des Dreibundes erworben habe. Beſonders lebhaft wird das Intereſſe ſein, feſt⸗ zuſtellen und die Gründe zu erfahren, durch die der Reichskanzler Caprivi veranlaßt wurde, den ruſſiſchen Draht abzuſchneiden. Es wird den etwaigen Erklärungen der Regierung leicht werden, der Nation die Beruhigung zu gewähren, daß bei denen ein deutſch⸗ruſſifches Abkommen unbequem ſein konnte, nicht wirkſam geweſen ſind. Wir ſind der Ueberzeugung, daß eine vollkommene Oeffentlichkeit der Verhandlungen und Erwägnngen, die dabei ſtattgefunden haben können, im Intereſſe des deutſchen Volkes liegt und als Freunde der verfaſſungsmäßigen Inſtitutionen, unter denen wir leben, würde es uns auch erwünſcht ſein, wenn aus dieſen Erörterungen ein verſchärftes Gefühl miniſterieller Verantwortlichkeit, wie die Verfaſſung es uns verſpricht, hervorginge. Die Frage, ob ein mächtiges Nachbarreich wie Rußland mit uns, oder unſeren Gegnern in Europa engere Fühlung hat, iſt für die geſammte Bevölkerung des deutſchen Reiches eine Frage von ſchwerwiegender Wichtigkeit und nicht minder iſt dies die andere, ob die engliſche Polikik bemüht und im Stande iſt, auf die unſere einen Einfluß auszuüben, deſſen Ergebniß nicht unbedingt im Intereſſe des deutſchen Reiches liegt. Wir zweifeln nicht, daß die für alle Deutſchen wünſchenswerthe Klarheit hierüber eine beruhigende Wirkung auf unſere öffentliche Meinung und anf die Anhäng⸗ lichkeit derſelben an unſere beſtehenden Inſtitutionen üben würde. Wir würden uns alſo freuen, wenn die klerikale Interpelation des Reichstages das hervorrufen würde. i Verſchiedenes. — Freiburg i. B., 11. Nov. Der hieſige Stadtrat giebt bekannt, daß ein Fräulein Fedder, das kürzlich in Baden⸗Baden geſtorben iſt, der Stadt Freiburg 500,000 Mk. teſtamentariſch ver⸗ dieſem Entſchluß auswärtige Einflüſſe von Mächten, macht hat. Die Zinſen dieſes Kapitals ſollen nach dem freien Ermeſſen der Stadtverwaltung für wohltätige Zwecke verwandt werden. — Meckesheim, 11. Nov. Der Bahn⸗ a ſiſtent Münz iſt am Sonntag Nacht wegen Unterſchlagung geflüchtet und bis jetzt noch nicht verhaftet. — Mainz, 10. Nov. Lieutenant Pfeiffer vom Pionier⸗Bataillon Nr. 11 und Frl. Zuck⸗ mayr von hier begingen heute Mittag in einem Wiesbadener Hotel Selbſtmord. — Gera, 10. Nov. In Zeulenroda ſind in vergangener Nacht 21 vollgefüllte Scheunen niedergebrannt. Erſt vor vier Wochen brannten laut „Frankf. Ztg.“ hier 15 Scheunen nieder. — Gera, 12. Nov. Bei einem Zuſammen⸗ ſtoß zweier Züge bei Gera-Weißenborn ſind, wie die „Geraer Ztg.“ meldet, ſechs Bahnbeamte und fünf Reiſende leicht verletzt worden. Der Schaffner Körner wurde getödtet. bedeutend. — Leipzig, 10. Novbr. Eine Blutthat verübte heute Nachmittag, jedenfalls im Wahnſinn, die Wittwe des früheren Polizeiwachtmeiſters Edler, der ſich im Frühjahr nach einem Mord⸗ attentate auf ſeine Frau durch Selbſtmord der Strafe entzog. Frau Edler ſtürmte mit gezücktem Meſſer auf ihr vierjähriges Töchterchen ein, indeſſen gelang es der Kleinen, noch unverletzt zu Nachbarn zu gelangen, welche raſch nach der Wohnung der Edler liefen, die Frau dort aber bereits erhängt und mit aufgeſchnittenen Halsadern vorfanden. Der Leichnam wurde nach dem pathologiſchen Inſtitut gebracht. — Berlin, 12. Nov. Die Morgenblätter melden aus Wien die Verhaftung eines Mannes, der ſich die Namen Edwin Schweitzer und Karl Hoelken aus Haßlingshauſen in Preußen beilegte und ſich durch die Ausgabe ſremder Goldmünzen verdächtig gemacht hatte. Es wurden japaniſche und franzöſiſche Goldmünzen im Werthe von 4300 fl. bei ihm vorgefunden, die nach ſeiner Ausſage aus einem Diebſtahl zweier Matroſen an Bord des Norddeutſchen Lloyd⸗Dampfers Hohen⸗ zollern herrührten. Er hätte damals als wacht⸗ habender Matroſe die Diebe überraſcht und dieſe hätten ſein Schweigen mit den Goldmünzen erkauft. — Berlin, 12. Nov. Die feierliche Bei⸗ ſetzung der Leiche des Oberhofpredigers Frommel fand heute Vormittag ſtatt. Der Feier in der Garniſonkirche wohnte das Kaiſerpaar, die drei Der Sachſchaden iſt e e geben e p 1. be e int N jüngeren kaiſerlichen Prinzen und Primzeſſin Friedrich Leopold, außerdem die geſammte Gene⸗ ralität, die Miniſter v. Boetticher, Boſſe und Schönſtedt, zahlreiche Deputationen, ſowie die evangeliſche und khatoliſche Geifflichk eit bei. Gar⸗ niſonspfarrer Goens ſegnete di Lei he ein. Na der Feier, die dem Wunſche des Verſtorbenen aden gemäß nur in einer kurzen liturgiſchen Andacht zen u dan beſtand, wurde die Leiche nach dem alten Offiziers⸗ , kirchhofe überführt. 2 l — Petersburg, 11. Nopfr. Auf der 4 Eiſenbahnlinie Petersburg⸗War ſchau fand bei der 75 27 Statiou Sokolka ein Zuſammenſtoß des von en Ab Petersburg kommenden Schnellzuges mit einem 1 vorſchriftswidrig auf das Geleis des letzteren 65. geleiteten Güterzuge ſtatt, wobei ſechs Perſonen 40 bun 0 getötet und 13 verletzt wurden, darunter ſiehen i vom Zugperſonal. aiim fal Nach einen At, alles 1 — Venedig, 12. November. Telegramm der Gazetta di Venezia iſt das Fort Adigrat mit 2600 ſchoaniſchen Soldaten in die Luft geflogen. — Eine Umwälzung in der Schiffs⸗ artillerie. Durch Kabinettsordre vom 27. Oktober ſind in unſerer Marine⸗Artillerie die 15, 21 und 24⸗Centimeter⸗Schnellfeuergeſchütze L/40 Syſtem Krupp eingeführt. Ueber die Bedeutung dieſer Neuerung wird der „T. Rdſch.“ aus Kiel geſchrieben: Nur der mit maritimen Angelegen⸗ 1b Fenn f heiten Vertraute weiß die volle Bedeutung dieſer 12 tun N Verfügung zu würdigen. Sie kündet einen glänzen: den Bit den Sieg der deutſchen Geſchützfabrikation an, aun Neirzauf liefert einen erneuten Beweis, daß Krupp mit ſeinen Leiſtungen unübertroffen daſteht ſund ſichert 2. der deutſchen Marine die Gewißheit, daß ihre 55. 1964 1 Schiffsartillerie, die wichtigſte Waffe für die [ J in der Schiffe, die Artillerie ſämtlicher Schiffe fremder * gewann Seeſtaaten in ihrem Leiſtungsvermögen für lange 91 Zeit geſchlagen hat. g 3 — Der Ediſon⸗Phonograph iſt eine 1b 6. der größten Erfindungen der Neuheit, welcher bis 1 lun in ge jetzt überall, wo er geführt wurde, die größte 1 6. An Senſation hervorgerufen hat. Derſelbe hat in N Eun letzter Zeit bedeutende Verbeſſerungen erfahren, daß er Alles ſo naturgetreu zu Gehör beringt, aerahurde daß man glaubt, man befinde ſich in einem feinen iu kn Ber Concert oder Opernhauſe. Ein ſolcher Phonograph 1. fun d der iſt morgen Sonntag, den 15. November m an. Gaſthaus zum „Schiff“ aufgeſtellt, es verfüume n den! Niemand demſelben einen Beſuch abzuſtatten. in großh. 1 wozu Ellinor unbefangen eingeladen, war wirklich ſchauderhaft, trotzdem ſeine Frau zum Nachtiſch noch eigenhändig eine ſüße Speiſe bereitet, es fehlten derſelben die feinen Ingredienzen. „Wie entzückend ländlich!“ rief Frau Melitta ironiſch, während Sie die grobe Serviette mit den zierlichen Fingerchen zerknüllte, und die ungewohnten Speiſen mit wahrem Heroismus herunter würgte. „Gedenken Sie dieſes Büßerleben noch lange fortzuſetzen?“ fragte ſie dann Koſer, ihn übermüthig anſchauend. „Nicht einen Tag mehr bleiben wir!“ verſetzte dieſer. Ihre lockende, ſchöne Welt hat den rechten Boten gewählt, mich ihr wieder zuzuführen!“ Frau Melitta ſchaute ſehr befriedigt drein, ſo ſchnellen Sieg hatte ſie kaum erhofft. Ellinor hingegen war blaß geworden bis in die Lippen. O dieſer unſelige ſchwankende Charakter ihres Mannes, er wird bei aller Begabung ihm ſtets hinderlich ſein, wirklich Großes zu erreichen. Hatte er nicht erſt vor einigen Tagen ſich glücklich geprieſen, nmal fern von dem Getriebe der großen Welt ganz der Natur und ſeiner Muſe leben zu dürfen, und nun genügten ein paar oberflächliche Damen dieſer Welt ihn wieder dahin zu verlocken! Drüben in der Laube ſpielte der Wind mit den Blättern ſeines Manuſeripts, er würde kaum daran denken ſie mitzunehmen, wenn er ſeine Sachen nachher zuſammenpackte. Nach Tiſche wurde ein gemeinſchaftlicher Spaziergang unternommen, und als man zurückkehrte, war es die höchſte Zeit, ſich zur Abreiſe zu rüſten. Ellinor aber fand noch Zeit die Papiere in der Laube zu den Skizzen, die ſie hier entworfen, in ihre Zeichenmappe zu legen, vielleicht daß Koſer ſie doch einmal vermiſſen, und es ihr danken würde, daß ſie dieſelben vor dem Untergange bewahrt. Vorläufig war wohl nicht daran zu denken, auf der „Frau Melitta ins Leben gerufen. Reiſe wenigſtens kam es zu keiner ruhigen Stunde mehr, Dank Frau Melittas, die es verſtand, ihre ganze Umgebung in ewiger Unruhe zu erhalten. „Wir müſſen wirklich Frau von Frege ewig dankbar ſein, daß ſie uns aus unſerer allerdings ſelbſtgewählten Verbannung erlöſt,“ meinte Koſer eines Tages, während er vor dem Spiegel ſtand und das lockige Haar kämmte. Volle Lebensluſt ſtrahlte aus ſeinem Geſicht, draußen lachte heller Sonnenſchein, es verſprach ein herrlicher Tag zu werden zu dem heutigen Ausflug, den natürlich Ellinor, die in einer reizenden hellen Toilette am Fenſter lehnte und in die herrliche Gebirgslandſchaft hinausblickte, konnte ſich eines leiſen Seufzers kaum erwehren, für ſie war jene Verbannungszeit die ſchönſte der ganzen Reiſe geweſen, da hatte ſie ihren Mann doch einmal ganz für ſich gehabt, jetzt hingegen nahm ihn die Geſellſchaft ganz in Anſpruch, vor Allem Frau von Frege, ſie vermochte der ſchönen Frau, die bei all ihrer Koketterie doch etwas ungemein liebenswürdiges hatte, aber kaum zu zürnen darüber, es beſtaud unſtreitig eine Seelenverwandtſchaft zwiſchen ihr und dem Koſer, beide verſtanden es den Augenblick wahrzunehmen, die Gegenwart, wenn ſie wie in dieſer Zeit ſchön und reich war, auch voll und ganz zu genießen. Sie konnte das nicht, es war ein Zug in ihr nach den Tiefen des Lebens, die leichte Oberfläche, die ſchillernden Wellen des Genuſſes, des Vergnügens des Lebensmeeres genügten ihr nicht. Auch bei ihrem Mann, einem Ritter des Geiſtes mußte dieſer Zug ja vorhanden ſein, nur daß die Lebensluſt wohl überwiegend bei ihm war. „Sie ſchauen heute wieder einmal mit welt⸗ fremden Augen in unſer fröhliches Treiben,“ ſagte Frau von Frege am Abend zu Ellinor. Die Parthie war ſo heiter verlaufen, daß man ſich noch nicht zu trennen vermocht, und in dem groß Saale des Hotels ein Tänzchen improviſirt hatte Ellinor ſchaute allerdings ſehr apathiſch in dies Treiben, ſie hätte ſo gern die ſtillen Abendſtunder mit ihrem Mann allein auf dem Balton ihrer Wohnung geſeſſen, und in die herrliche Mondſchein landſchaft hinaus geſchant. „Ganz anders wie Ihr Herr Gemahl,“ fuhr Frau Melitta fort, „der iſt heute Abend Tänzer Vohr nit pic, i führ ſon n bei bal und nichts weiter!“ n nt Kü „Und nichts weiter, das iſt es eben;“ verſetzte Su Ellinor, „er giebt ſich ganz dem Vergnügungstreibe n hin, und ſcheint gar nicht mehr daran zu denken 4 daß er doch einen andern höheren Beruf hat, als ſich und andere zu amüſicen.“ „Aber liebe Frau Doktor, Alles zu feiner Zeit, die Stunde wird auch kommen, wo es ih wieder zum geiſtigen Schaffen drängt und treibt nur dürfen Sie ihn nicht dazu quälen, nicht wieder mit ihm in die Einſamkeit ziehen und ihn förmli zwingen wollen zu ſolcher Thätigkeit, das iſt ganz verfehlt, der Trieb dazu muß allein von Innen kommen. Sie verſtehn überhaupt die Männer nicht zu behandeln, das muß man wie ich ſtudirt haben von Jugend auf. Erſt ſtudirte ich meine Brüder, dann deren Freunde, und ſchließlich meinen Gatten der übrigens in den nächſten Tagen herkommt, um mich abzuholen, und zwar in Begleitung des gelehrten Doktor Berner, den Sie ja auch kennen.“ „Darf ich bitten?“ Koſer ſtand vor Frau von Frege, und dieſe erhob ſich, um mit ihm einen Geſchwindwalzer zu tanzen. Sinnend ſah Ellinor ihnen nach; hatte ſie wirklich Recht gehabt mit ihrer Rede vorhin, die ſchöne, weltkluge Frau, die di Männer ſtudirt von Jugend auf und nun auch zu behandeln wußte. F ortſetzung folgt.) — Woh K cht ju ve . r Hi win iir l