ſo zog er den Säbel. Der Wirth rief ihn an: „Herr Lieutenant, der Herr will ſich bei Ihnen entſchuldigen.“ Aber v. Brüſewitz hörte nicht mehr auf ihn, er drückte ihn und einen andern dort ſtehenden Herrn bei Seite und ging ſofort gegen Siepmann los. Siepmann rief noch: „Ich bitte Sie um Verzeihung“ und eilte vor dem Offizier fort. v. Brüſewitz aber verfolgte ihn uf den Hof. Wahrſcheinlich hat hier Siepmann ie Thüre, durch welche er ins Reſtaurant flüchten wollte, verfehlt, und ſo ſprang er dort bis hinten an den großen Glasabſchluß. Dieſer war leider geſchloſſen und ſo erreichte v. Brüſewitz hier den Mechaniker und ſtieß dem Bedauernswerthen ſeinen Degen in den Leib. Nach einer knappen Viertel⸗ unde war Siepmann, der große Schmerzen aus⸗ uſtehen hatte, eine Leiche. Als der blutige Aus⸗ gang der Affaire bekannt wurde, wollten die Gäſte des „Tannhäuſer“ auf den Lieutenant, der dann im Café — in Anweſenheit auch der Feldwebel — mit dem Rücken am Billiard Stellung genommen hatte, eindringen, und nur dem Umſtand, daß es fälſchlicherweiſe hieß, v. Brüſewitz ſei vor ſeiner That von Siepmann geohrfeigt worden, iſt es zuzuſchreibeu, daß ein weiterer blutiger Vorfall verhindert wurde. Noch am Montag Morgen mit dem früheſten ſtellte Staatsanwalt Groſch ein Verhör mit den ſchnell herbeicitirten Zeugen an. Sofort auch nahm das Militärcommando die Unterſuchung auf. Die erſte Unterſuchung führte Lieutenant v. Freydorf. Des weiteren war die Kommiſſion zuſammengeſetzt aus den Herren Diviſionsauditeur der 28. Diviſion Dr. Daehn, Hauptmann Bauer und Lieutenant v. Adelsheim, welche, wie ſchon angegeben, geſtern Mittag die Zeugeneinvernahme zu Ende führten. Dienstag Nachmittag 4 Uhr wurde von Herrn Oberſtabsarzt Dr. Gernet und einem Aſſi⸗ ſtenten desſelben die Obduktion der Leiche vorge⸗ nommen. Es wurde hierbei konſtatirt, wie der Tod infolge des Stiches eingetreten. Der Stich drang an der rechten Bruſtwand ein, durchbohrte die Leber, die hintere und vordere Magenwand, das Zwerſchfell, die Leber auf der linken Seite und drang noch in die linke Bruſtwand ein. So groß war alſo die Wucht des Stoßes geweſen, daß der Säbel den Körper des Siepmann böllig durch und durch geſtoßen hatte. Donnerſtag, abends 6 Uhr, erfolgt vom Hauptbahnhof ab die benen. Der einzige Bruder des Verſtorbenen — außer dieſem und einer Schweſter beſitzt derſelbe keine naheren Familienangehörigen — iſt ſofort nach Karlsruhe geeilt, um e Leiche des ſo ötzlich Dahingeriſſenen zu geleiten. 1 Bad 0 10 Ok Das „Illuſtrirte Badeblatt“ in Wien ſchreibt in ſeiner neueſten Nummer: „Die Röntgenſtrahlen ſind nun glücklich auch in das Gebiet der Therapie eingebrochen. Despeignes in Lyon hat nach der sem. med. Nr. 37 auf einen Magenkrebs zwei Mal täglich je eine halbe Stunde lang Röntgenſtrahlen wirken laſſen: die Wirkung zeigte ſich überraſchend. ü Nach acht Tagen war der Schmerz gelindert, die Ab⸗ magerung hörte auf, die gelbliche Hautfarbe war faſt geſchwunden und die Geſchwulſt war erheblich kleiner geworden. Aber auch die Naturheilmethode bemächtigte ſich der neuen Entdeckuug. So hat z. B. das Malten'ſche Inſtitut für Naturheil⸗ methode in Baden⸗Baden eine „Sonderabtheilung für Röntgen⸗Beſtrahlungen“ eingerichtet. Ein Proſpekt der genannten Firma beſagt: Wo das Licht hinkommt, werden alle Pilſen und ſchädliche Keime zerſtört, und da wir durch die Röntgen⸗ ſtrahlen ein ſicheres Mittel haben, innere Partien des Körpers zu durchſtrahlen, ſo iſt es einleuch⸗ tend, daß bei richtiger Handhabung alles Fäulniß⸗ artige, Abgelebte, Krankhafte aufgelöſt und aus⸗ geſchieden werden muß. — Pforzheim, 14. Okt. Der von ſeiner Frau geſchiedene Kaufmann E. M. hat ſich im Laden der Mutter ſeiner früheren Frau erſchoſſen. M. führte ſchon während ſeiner nur wenige Jahre dauernden Ehe ein recht ungebundenes Leben, ver⸗ nachläſſigte ſein Geſchäft und wurde inſolvent während des Scheidungsprozeſſes. Nach der Scheidung ſuchte er ſich als Vertreter eines Mannheimer und zuletzt eines Karlsruher En gros-Geſchäftes durchzubringen, verkehrte aber mehr als nöthig im Wirthshaus und ſank immer tiefer. Geſtern Abend kaufte er ſich einen Revolver, betrat den Laden ſeiner Schwiegermutter, welche ſich bei ſeinem Eintreten entfernte, warf den Hut auf den Ladentiſch, zog ſeinen 6läufigen Revolver und jagte ſich eine Kugel durch den Kopf, welche den augenblicklichen Tod herbeiführte. M. ent⸗ ſtammt einer hieſigen angeſehenen Familie. — Pfungſtadt, 12. Okt. Fünfzig Jahre waren es am verfloſſenen Montag, daß von J. Ueberführung der Leiche Siepmanns zur Beſtattung in Altendorf bei Eſſen, der Heimath des Verſtor⸗ Hildebrand das erſte Sud Bier in Pfungſtadt gebraut wurde. Aus kleinſten Anfängen hat ſich aus dieſem Zeitpunkt die Firma Hildebrand durch Umſichſ und Raſtloſigkeit ihrer Beſitzer zur heutigen Blüthe entwickelt. Eingeleitet wurde das Jubſ⸗ läumsfeſt am Sonntag durch einen imposanten Fackelzug. Am Montag, dem Jubiläumstage, wurden zunächſt die Armen Pfungſtadts mit einer reichen Geldſpende bedacht; auch der Feuerwehr. kaſſe und dem Krankenhausfonds wurden nahm: hafte Summen zugewieſen. Nachmittags 2 Uhr begann der Feſtakt, an dem ſich mehr als 600 Perſonen betheiligten. Nach dem Feſtmahle wurde ein von Herrn Bildhauer Heß in Heildelberg bearbeitetes Feſtſpiel aufgeführt. — Beſigheim, 14. Okt. Geſtern Abend hatte ein auf der Reiſe befindlicher Kaufmann aus dem Bayeriſchen auf dem hieſigen Bahnhof auf ſchreckliche Weiſe ſein Leben verloren, Er war aus dem um 7 Uhr von Stuttgart ein⸗ treffenden Zug ausgeſtiegen und kehrte noch einmal zurück, um ſein Gepäck zu holen. Beim Wieder⸗ ausſteigen aus dem in Bewegung ſich ſetzenden Zug hatte er das Unglück auszugleiten und unter die Räder zu gerathen. Er erlitt fürchterliche Verſtümmelungen, die ſeinen Tod zur Folge hatten, Der Verunglückte hinterläßt Familie. Paris, 11. Okt. Die Verzehrungs⸗ ſteuer hat laut Feſtellung des ſtatiſtiſchen Amts in der Ruſſenwoche vier Millionen Fres. mehr eingetragen, als die gleiche Woche des Vorfahrs. — Eine ſaubere Stadt. Wie ſich die Stadt Bari, wo die Prinzeſſin von Montenegeg bekanntlich zum Katholizismus übertreten wd, auf die Feſtlichkeit vorbereitet, das können hie der „Tribuna“ entnehmen. Die Preſſe von Bae veröffentlicht unter Anderem folgende Vermahn⸗ ungen an die Bürger: Ihre Pflicht ſei es, die Straßen von allem Koth zu reinigen — die ſchmutzige und zerfetzte „Wäſche“ von den Fenſtern zurückzuziehen, Ziegen, Hühner, nackte Kinder, herumtorkelnde Trunkenbolde u. ſ. w. zu entfernen, keinen Unflath auf die Straßen zu ſchütten, daf zu ſorgen, daß die Kutſcher nicht in Lumpen herumfahren u. ſ. w. u. ſ. w. — Geſchieht das Alles, ſo werden am 21. Oktober die gulen Bareſer ihre Vaterſtadt wohl ſelbſt nicht mehr erkennen. — Heiteres. Ein Zukunftsbild. Erſter Doktor: „Schöne Photographie, nicht wahr? Sie kennen ja die Dame!“ Zweiter Doktor: „H der rechte Lungenflügel ſcheint mir etwas ge ſchmeichelt!“ — eine faſt beängſtigende Leere da oben in ſeinem Hirnkaſten, ſollte dieſe ſchöne Zeit hier ſo ganz unfruchtbar geweſen ſein, das war doch kaum an⸗ zunehmen, es bedurfte wohl nur der Großſtadtluft, der wilden und ſtürmenden Wogen des Lebensſtromes dort, die ſchlafenden Keime zu erwecken. Fürs erſte konnte er ſich der Arbeit allerdings nicht hingeben, er wollte ja Hochzeit machen, aber dann! dann! Wenn er die Villa ſeiner Schwiegermutter, in welcher das erſte Stock für das junge Paar ein⸗ gerichtet werden ſollte, bezogen, dann würde eine ſchöne ſchaffensreiche Zeit beginnen. Ellinor hatte ſchon von einem kühlen, ſtillen Gemach geſprochen, wo vor den Fenſtern Bäume rauſchten. Das ſollte ſein Arbeitszimmer werden, da würde ſeine Muſe mit ihm einziehen, und Geiſtes⸗ werke dann ihren Lauf in die Welt nehmen, die ſicher gaaz andere Erfolge haben würden, wie Alles, was er bisher geleiſtet, nun er nicht mehr um das tägliche Brod zu ſchreiben nöthig hatte. *. . 3 Das ſchrille Pfeifen der Lokomotive ertönte, eine ſchlanke Männerhand winkte noch einmal grüßend heraus aus dem Coupeéfenſter und nun brauſte der Zug davon. Ellinor ſtand mit ihrer Mutter faſt ganz allein auf dem Bahnſteige, mit ihrem Taſchen⸗ tuch winkend, bis nur noch eine Rauchwolke zwiſchen dem Grün der Wälder zu erkennen war. „Nun gehörſt Du mir noch eine kurze Zeit ganz allein, Ellinor,“ ſagte Frau Straten, als ſie den Rückweg jetzt antraten. „Ich bleibe doch immer Dein, mein Mütterchen, auch wenn ich verheirathet bin!“ verſetzte Ellinor. „Aeußerlich wohl, aber wie ſteht es innerlich, iſt da noch Platz für mich in Deinem Herzen? Füllt nicht das Bild Deines Gatten dann Dein ganzes Inneres aus? Beherrſcht nicht Dein ganzes Denken nur er allein?“ 4 ſolcher niederdrückenden Ellinor erröthete. „Muß es nicht ſo ſein,“ ſagte ſie leiſe, „und iſt er es nicht auch werth, ſo geliebt zu werden! Jetzt erſt beglückt mich unſer Reichthum, wo ich ſein Leben damit verſchönern darf. Welch eine herrliche Aufgabe für eine Frau, dem Genie des Mannes die Wege zu ebnen. Du weißt gar nicht, wie ſauer er ſich hat werden laſſen, wie er hat arbeiten müſſen um ſeine Exiſtenz.“ „Ja, liebes Kind, das müſſen ſchließlich doch die meiſten Menſchen, nicht nur Männer, auch zahlloſe Frauen, die wenigſten ſind ſo glücklich ſituirt wie wir.“ „Talenten aber müßte das erſpart bleiben, dafür könnte der Staat wohl ſorgen, es brauchte ja nur ein Fond gegründet werden für alle kunſt⸗ begabten Menſchen, die Geld bedürfen, wie manches Talent mag untergehn im Kampf ums Daſein.“ „Du würdeſt einen ausgezeichneten Finanz⸗ miniſter gerade für unſere realiſtiſche Zeit abgeben,“ meinte die Frau Geheimrath lächelnd. „Wirkliche Größe ringt ſich doch wohl meiſtens durch, erhebt ſich über das Elend des Daſeins und findet ſchließlich auch Anerkennung und reichen Lohn, dafür giebt es tauſend Beiſpiele.“ „Und Herbert, Mama? Du zweifelſt wohl gar an ſeinem großen Talent!“ rief Ellinor erregt. „Darüber maße ich mir jetzt noch kein Urtheil an. Auf der Höhe ſteht er jedenfalls noch nicht, vielleicht gehört ſein Talent zu denen, die des hellen Sonnenglanz des Daſeins bedürfen, ſich voll und ganz zu entfalten, die wahre Größe aber meine ich, bewährt ſich, wo das Talent der Noth und Sorge 10 7 vermag, ſich nie vom Schickſal überwinden aß 8570 „Und Du glaubſt, Herbert vermöchte das nicht!“ unterbrach ſie Ellinor, „meinſt vielleicht gar, daß er mich nur des Geldes wegen gewählt, um all Sorgen enthoben zu ſein.“ 105 75 Sie war ſehr blaß geworden, Thränen traten in ihre Augen. „Eine ſolche Heroengeſtalt, wie Du da gezeichnet, iſt er ja nicht, ich weiß es wohl, ihm fehlt die rechte Entſchloſſenheit im Handeln, er iſt ſchwankend in ſeinen Stimmungen, aber ich liebe ihn gerade ſo wie er iſt und glaube an ihn. Faſt trotzig ſah ſie ihre Mutter jetzt an, auch ſie ſollte ſie nicht irre machen in ihrem Glauben an den Geliebten, Dieſe aber legte ſanft den Arm um ihre Taille. „Mit dieſer Liebe, dieſem Glauben wirſt Du auch glücklich werden,“ ſagte ſie bewegt, hütete ſich aber von nun an, je wieder ein derartiges Geſpräch aufkommen zu laſſen. Des Gedankens, daß das Geld bei der Werbung Koſers ſehr mitgeſprochen vermochte ſie nun einmal nicht Herr zu werden, trotzdem aber konnte er Ellinor noch lieben lernen, wie ſie es verdiente. Dieſe hatte die kleine Miß⸗ ſtimmung, die ihr das Geſpraͤch auf dem Riickwveg vom Bahnhofe verurſacht, ſehr bald überwunden. Es kamen bald Briefe von Herbert Koſer, in dem für Ellinor etwas förmlich Berauſchendes, während ihrer Mutter, der ſie die Briefe unbean⸗ ſtandet zum leſen gab, dieſer Ueberſchwang ſchöner Worte und genialer Redewendungen oft zu gemacht vorkam. Wahre Liebe, dachte ſie im Stillen, redet wohl eine einfachere Sprache, die aber mehr zu Herzen geht. Die Antworten Ellinors waren in dieſer Sprache geſchrieben, einfach und natürlich wie ihr ganzes Weſen, gab ſie ſich auch in ihren Briefen, Koſer mutheten dieſelben an wie friſcher Waldeshauch, in dem heißen bewegten Leben der Reſidenz, das er jetzt in der kurzen Zeit der Freiheit die ihm noch blieb, mit vollen Zügen noch einmal genoß.