blatt Mk. 1.40 frei ins Haus. I die Redaktion verantwortlich: Karl Molitor, Ladenburg Geſcheint jeden Dienstag und Freitag Abend. Preis viertelfährlich Mark 1.—, mit illuſtriertem Unterhaltungs⸗ 10 Pfg., 2 Anzeigen: die 1⸗ſpaltige Corpus⸗ Zelle Pick und Verlag von Karl Molitor, Ladenburg. der deren Naum Lokale Geſchäfts⸗ und Privatanzeigen 6 Pfg. Corpuszeile. Neclamen 20 Pfg. Nr. 94 Samstag, den 23. Nove mber 1895. Die Jarin und ihre Tochter. * Die jüngſt geborene Tochter des kaiſerlichen Woaxes ſſt rechtlich und thatſächlich die Thronfolgerin. In Rußland iſt, wie auch in England, die Primo⸗ genſtur ausgedehnt auf das weibliche Geſchlecht; dieſes weicht dem männlichen nur in derſelben Linie. Der Aderige Thronfolger Großfücſt Grorg hat das Sue⸗ klftons recht durch die Geburt in der älteren Linie berloten; die kleine Olga geht wiederum desſelben Rechts verluſtig, ſobald ſte einen Bruder erhält. Dorin liegt der Hauptgrund, aus welchem von feier⸗ lichen Erklärungen abgeſehen wird. In dem Mani⸗ ſeſſe vom 1. November v. J., welches Georg als Wronfolger hinſtellt, bis dem Kaiſer ein Sohn geboren ſein werde, lönnte man eine Vermeſſenheit finden, welche durch den Zufall einer langen Reihe don Töchtern bitter gestraft ſein würde, wenn nicht dus unbeilvolle Leiden des Bruders des Zaren bei dnem Manifeſte mitgeſprochen hätte. Sollte dem Zaren ein Sohn berſagt bleiben, ſo wird Rußland nicht unzufrieden ſein, eine Herrſcherin zu erhalten. Die Kaiſerinnen vergangener Zeit er⸗ ſrngen nicht gut die Krit k nach dem Maßſtabe bürgerlicher Moral, aber dieſe iſt auch von Fürſten männlichen Geſchlechts nur in Ausnahmefällen in Ehren gehalten worden. Die regierenden Zarinnen haben entweder mit Scharfblick zu ihren Viebhabern Monner gewählt, die auch ſtaatsmänniſches Talent und Thatkraft beſaßen, oder der Zufall iſt ihnen in dieſer Beziehung zu Hilfe gekommen. Katharina I. war aus dem Bauernſtande bervorgegangea, ihrer Schlau⸗ het gelang es, Peter I. zu retten, als die Türken ihn 1711 am Piuth eingeſchloſſen hatten. Die Furcht vor ihrem eiſernen Gemahl hielt ſie in Schranken, ein Kammerherr, welcher ihr zu gefallen ſchien, wurde enthauptet. Aber nach Peters Tod ward ſie züͤgel⸗ los, Menſchikow bewahrte das Reich vor Schaden. Anna hat ihrem Stallmeiſter den Staat anvertraut; Biron war ein tüchtiger Mann, was Türken und Polen bitter verſpürt haben, aber er war grauſam und roh. Eliſabeth ließ ſich noch etwas tiefer herab, als Anna, ſie hat ihren Bedienten Naſumowski zu ihrem Gatten gemacht, ſie war glücklich gegen die Schweden, beſaß lebhaften Geiſt und hat ſich um das Land verdient gemacht, durch Gründung der Univerität in Moskau und der Kunſtakademſe in Petersburg. Was an Katharina II. einer bedeu⸗ tenden Frau und Fürftin, ſündhaft war, fällt nicht dem Rufſentum zur Laſt, denn ſie war eine Deutſche. Die Zahl der Männer, welchen ſie Gunſt erwieſen bat, iſt ſehr groß. Tüchtige Köpfe waren Soltikow, Poniatowski, Orlow, Potemkin. Die Zarin ſelbſt entwarf hochſahrende Pläne, ſie hat das Reich ge⸗ waltig erweitert und geſtärkt, Polen und Kurland ſättigten ihren Ehrgeiz nicht, ſie plante die Bekrieg⸗ ung der Engländer in Bengalen und die Wlederher⸗ ſtellung des griechiſchen Kaiſerthrons in Konſtanti⸗ nopel, natürlich unter einem ruffiſchen Großfürſten. Durch die Einverleibung der Keim gewann ſte den Schlüfſel zum tütkiſchen Reiche. Sie hat Städte gegründet, Kanäle und Straßen gebaut, Schulen und Hospitäler errichtet, den Handel gefördert, die Geſitzzgebung zu verjüngen, die Verwaltung zu reinigen berſucht. Wenn die Völker mit moraliſchen Verrrungen der Herrſcher nicht ſtreng ins Gericht gehen, ſo haben ſte doch tiefe Sympathie für Sittenſtrenge an höchſter Stelle, und von dem dort herrſchenden Familienglücke weht eine Empfindung des Behagens jede Familie im Lande an Solches Vorbild hat Alexander III. ſeinen Unterthanen gegeben, und wir find zu der Erwartung berechtigt, daß Nikolaus II. in derſelben Bahn wandeln wird. Nicht bloß Lehre und Beilpiel des Vaters wirken darauf hin, ſondern es beſtehen noch beſondere Beziehungen, die einerſeſts auf die Mutter Alexanders III., anderſeits auf die j⸗tzige Kaiſerin hinweisen, auf die Tochter Ludwias II. von Heſſen und auf die Tochter Ludwigs IV. Jene, mit Alexander II. 1841 vermählt, 1880 geſtorben, ſah während der zweiten Hälfte ihres Eheſtandes die Neigung des Gemahls einer anderen Frau zu⸗ gewendet, was Alexander III., der Mutter zärtlich zugethan, dem Vater ſchwer verzeihen konnte. Des vorigen Kaiſers Freude darüber, das ſein Sohn eine heſſtiche Prinzeſfin zur Gattin wählte, ſah in dieſem Umſtande eine Genugthuung für das Leid, welches ſeiner Mutter wiederfahren war. Daher ſein heftiges Verlangen, Alix vor ſeinem Tod zu ſehen, und ſein Wunſch, daß die Vermählung beſchleunigt werde; daher der Thränenſtrom, unter welchem er die künftige Zarin umarmte. Wir gönnen dem jungen Kaiſer ſtattliche Söhne und ein glückliches, friedliches Haus, denn das kommt auch dem Bolte zu Statten. Vorläufig aber hat das Reich eine Thronfolgerin in gerader Lin wenn auch nur eine kleine. 1 Politiſches. Karlsruhe, 21. Nov. In der heutigen Sitzung der zweiten Kammer des Landtags wurde vom Eiſenbahnminiſter v. Bauer der zwischen Baden und Bayern wegen Erbauung der Bahn Amorbach⸗ Walldürn obgeſchloſſene Staats pertrag eingebracht. Darnach baut jeder Staat die Bahnlinie bis zur Grenze. Eine Petition wegen Erbauung einer Bahn von Waldkirch durch das Elzthal bis Elzach wurde von dem Abg. Blattmann (C.) überreicht. Die Kuf dunkler Bahn.) Nobelle von Carl Caſſau. 5 1 Norwegens, welche durch die Nordlandsfahiten des Noiſers Wilh lan auch in Deutſchland bekannter ge⸗ worden find, iſt der Schauplatz dieſer Novelle. An einem der kleinen, Fjords — ſo heißen im Norwe⸗ wegiſchen die Meertsbuchten — und im Dorfe Omka, nahe bei Trondjom oder Drendheim, ſplelt die Hand⸗ lung derſelben. Dort ſaß an einem Nachmittage im Hochſommet ein alter, graulockger Capitän, der Iczt die verdienten Summen für ſeine Fahrten im Weltmeere in ge⸗ mütblicher Ruhe verzehrte, in Geſellſchaft eines ſieb⸗ Ihnjährigen, wunderbar ſchönen Mädchens in einer Laube des am Fjord ausgebreiteten Gärtchens, das Auge auf das ruhige ſchimmernde Meer gerichtet. „Wie oft habe ich dieſen Augenblick nun ſchon genoſſen,“ ſagte er itzt weſch, „und immer it es wieder ſo ſchön, diefes große Auge Gottes in der Natur, daß wie in jungen Jahren das Heimweh über mich lommt, betrachte ich die vielen, tief in die Krümmungen des Landꝛrückens einſchneidenden Fjorde, die grünen Wölder, der Halbinsel gegenüber, die mit Blumea und Grün beſetzten Abhänge der Felſen ungsum. die freundlichen Dörfchen am Strande! In den herrlichen See⸗ und Berglandſchaften Ach, wie ſchön iſt doch Gottes Welt, wie ſchön unſer Vaterlond!“ „Ja, Papa Tyndal,“ nickte die junge Darne, „aber Ihr vergeßt den Kaffee, er wird kalt! Schade darum; es iſt echter Mocca, den Euer Freund, Capitän, Lynkſtröm, geſtern ſelbſt mitgebracht!“ . ö „Du haſt Recht, Cornelie! O, wie der Trank klöſilch schmeckt! — Aber mir fällt etwas ein. Haben wir heutr nicht den 2. Auguſt?“ „Freilich, Väterchen!“ Der Greis, welcher fich unwillkürlich erhoben, nahm an der Seite des jungen Mädchens wieder Platz und entgegnete bedachtſam: gerade fünfzehn Jahre, daß ich Dich da unten aus den plätſchernden Wellen zog! Es iſt Dein Geburts⸗ lag für mich, Cornelie!“ Und er reichte ihr die Hand, ihr in deren Augen Thränen glänzten. ö „Du weinſt, mein Kind!“ frug er dann zärtlich. „Ach,“ gab ſie mit einer ſich in Herz und Oyr lieblich einſchmeichelnden Stimme zurück, „Papa Ty adal, ich weine ja über die armen, unglücklichen Eltern, die damals bei dem Sturme auf deim Meere doch gewiß umgekommen find!“ meine Aufrufe in den Zeitungen der Welt keine Nachricht erhalten habe, Aber Du haſt ja mich, Cornelie!“ Sie reichte ihm die Hand, ſtand auf und ver⸗ ließ tief bewegt die Laube. Es war eine entzückende Gestalt, deren ſchlanker Leib, ſich auf zierlichen Füßen wiegend, eine Büſte trug, würdig, don einem großen Meiſter in pariſchem Marmor ausgebauen zu werden. Auf dem ſchlanken Halſe bewegte ſich ein zierlich geformter Kopf mii uppigem dunklen Haar. Die dunklen Augen, die „Cornelle, mein liebes Kind, fo find es heute „Das find ſie leider wohl, Kind, da ich auf tiefen Vrauen, das ganze Geſicht verriethen auch im Schmerz eine ſolche Fülle von Schönheit, daß der vorlüb erſchreitende Wanderer hätte ſtillſtehen müfſen vor Verwunderung. Sie kehrte nach einer Weile mit gerötheten Augenrändern zurück und fetzte ſich mit ihrer Hand⸗ arbeit abermals zu dem Alten in der Laube, der mit der redſeligen Breite des Alters die bekannte Sache wieder aufnahm. „Ja, Cornelchen,“ lächelte er halb verlegen bei ihrem Anblick, „Du ſchwammſt in einer Wiege, aber Dn kamſt nicht arm zu uns. In deinem Beltchen lag eine Ceſſette mit Sachen von Werth die Dir gehören werden, wenn Du einmal“ — er hüſtelte ſeltſam — „nun ja, einmal muß es doch geſagt ſein, wenn Du einem Manne die Hand reichen wirſt!“ Cornelie erglühte wie ein Röschen in der Hecke. „Nun, nun, brauchſt Dich nicht zu ſchamen, Kind, wenn ich zu Dir vom Heirathen rede. Cs kann ſich über Nacht ein würdiger Freier finden. inen Ring habe ich aus jener Zeit, wo wir Dich