Nr. 34. blatt Mk. 1.40 frei ins Haus. iir die Redaktion derantwortlich: Karl Molitor, Ladenburg 2 5 1 Erſcheint jeden Dienstag 400 Freitag Abend. Preis vierteljährlich Mark 1.—, mit illußtriertem Unterhaltungs⸗ Samstag den 28. Anzeigen: die 1⸗ſpaltige Corpus⸗Zelle oder dere! Raum 5 10 Pfg., Lokale Geſch “s- und Privatanzeigen Druck und Verlag von Rarl Molitor, Ladenburg. b Pfg. Corpuszeile. Neclamen 20 Pfg. 1894. Ein moderner Kreuzzug. Die anhaltende ſchwere wirtschaftliche Crifs in den vereinigten Staaten von Nordamerika hat die Zahl der Arbeits“oſen in dem großen trans⸗ allantiſchen Staatsweſen zu einer daſelbſt noch nie dogeweſenen Höhe anſchwellen laſſen. Einentheils find namentlich in den Induſtrieſtaaten des Oſtens überaus zahlreiche Entlaſſungen von Arbeitern er⸗ folgt, anderntheils haben hunderttauſende von Ar⸗ deltern ihre Beſchäftigung von ſelbſt aufgegeben, da ſle ſich den Lohnkürzungen, zu welchen viele Unter⸗ nehmer die ungünſtige geſchäftliche Lage auszunutzen U kſuchten, nicht fügen wollten. Unter dieſen theils gezwungen, theils freiwillig feiernden Arbeitern be⸗ finden ſich aber nicht wenige verzweifelte und zu allen möglichen Ausſchreitungen geneigte Elemente, welche in der Hand von geeigneten „Führern“ nur in leicht zu einer ernſten Gefahr für die ordnungs ⸗ liebende und ruhige Bevölkerung der Union werden können. Und dieſe drohende Gefahr zeigt ſich jetzt mit einem Schlage durch ein eigenthümliches und echt amerikaniſches Unternehmen, welches in den Vereinigten Staaten momentan das Intereſſe on allen anderen Tagesbegebenheiten zurückdrüngt, näm⸗ lich in den „Zug der Arbeitsloſen“ gegen die Bundeshauptſtadt Wafhington. Ein reicher Privatier aus dem Weſten, Namens Lox'ey, war es, der zu⸗ erſt den Plan faßte, eine förmliche Armee von Be⸗ ſchäftigungsloſen nach Waſhington zu bringen, da⸗ mit die Leute vor dem Congreß ſelbſt ihre Klagen und Forderungen geltend machen könnten. Kaum war der Plan gefaßt, ſo wurde er auch ſchon zur Ausführung gebracht und ſo befindet ſich denn zur Zeit die Lox h'ſche Armee der Arbe tsloſen auf dem Marſche aus dem Weſten nach Waſhington, um hier vor dem Capitol eine gewaltige Demonſtration des „Proletariats“ in Scene zu ſetzen. Der leicht erkennbare bedenkliche Grundzug des ganzen Unternehmens erfährt aber dadurch noch eine beſondere Verſchärfung, daß die Theilnehmer an dieſem ſeltſamen modernen Kteuzzuge keineswegs lediglich aus beſchäftigungsloſen Arbeitern beſtehen, ſondern daß ſie ſich weſentlich mit aus den Reihen der „Aramps“ rekrutiren, wie der amerikaniſche Aus⸗ druck für unſer deutſches „Landftrricher“ lautet. Die arbeitsſchtuen Vagabunden in der Union jedoch gehören zu der ſchlimmſten Sorte des „Stromer⸗ thumes“ überhaupt, es befinden ſich unter ihnen viele tauſende alter Verbrecher und gewaltthätiger Burſchen, man kann ſich demnach denken, welch' ein Schrecken vor jenem bunt genug zu ammenge⸗ würfelten Heere „Arbeitsloſer“ einhergeht, das ſich auf die politiſche Hauptſtadt der Unſon zu bewegt. In dem von dem Zuge berührten Unionsgebieten ſuchen ſich die ſtädtiſchen Behörden und die Eiſen⸗ bahngeſellſchaften der gefährlichen Geſellſchaft meiſt dadurch zu entledigen, daß ſie dieſeſbe mittels Ge⸗ währung freier Fahrt und Beköſtigung moͤglichſt raſch wieder über die Grenze der betreffenden Be⸗ zirke zu ſchaffen ſuchen; die weiter nach Oſten in der Richtung auf Waſhington zu gelegenen Counties können nachher zuſehen, wie ſie mit den modernen Argonauten fertig werden. In Wal hington ſelbſt hat man bereits umfaſſende militäriſche Vorbereſtungen zum Empfange der ungebetenen Gäſte getroffen, deren Haupttrupp augenblicklich an der vom Miſſouri gebildeten Grenze von Nebraska und Jowa lagert. Uebrigens haben ſich inzwiſchen auch von vielen anderen Gegenden der Union aus Züge von „Ar⸗ beitsloſen“ gegen Waſhington in Bewegung geſitzt. Bei dem augenſcheinlichen Mangel an Zuſammen⸗ wirken der einzelnen Bundesſtoaten oder ſelbſt nur Grafſchaften, durch deren Gebiet die Arbeiterarmee auf Waſhington marſchiert, zur Unterdrückung des Unfuges, iſt es kaum zu bezweifeln, daß die Zehn⸗ taufend der Demonſtranten in der That in Waſhington anlangen, Vortrupps der Beſchäftigungsloſen find dort bereits eingetroffen. Da an eine Erfllllung der mancherlei hochgeſchraubten Forderungen dieſer riefigen Menge von gewohnheitsmäßigen oder zeit⸗ weiligen Müßiggängern im Ernſte nicht zu denken iſt, ſo wird es ſich bald zeigen müſſen, ob die Leute infolge gütlicher Vorſtellungen wieder zur Umkehr zu bewegen find. Andernfalls wird die Sache nicht ohne ſchwere Unruben und Blutvergießen abgehen, bei welchem Ausgange des Unternehmens die Unionsregierung allerdings ſchwerlich von jeder Verantwortung frei zu ſprechen wäre. Politiſches. Darmſtadt, 25. April, Der Großflüeſt⸗ Thronfolger ſpendete anläßlich ſeiner Verlobung den Stadtarmen 5000 Mk. Berlin, 25. April. Kaiſer Wilhelm wird von ſeinen Frühjahrsreiſen am Mitwoch, den 1 Mai im Neuen Palais bei Potsdam eintreffen, um daſelbſt bis zum Anteitte ſeiner üblichen Sommerreiſen zu reſidiren. Die Ankunft der Kaiſerin und der kaiſer⸗ lichen Kinder aus Abazzia wird im Neuen Palais für dieſen Sonnabend erwartet. — Prinz Heinrich von Preußen wird, wie fich die „Polit. Correſp.“ aus Petersburg in Ueber⸗ einſtimmung mit entſpr chenden Meldungen in an⸗ deren Blättern berichten läßt, im Laufe des Som⸗ mers zu einem zehntägigen Beſuche am Petersburger Hofe erwartet. Sollte dieſes angekündigte Ereigniß wirklich ſtattfinden, ſo würde es gewiß als ein neues Im Strome des Tebens. 15 Roman von Jenny Piorkowska. Ich war ein junges Mädchen von ſechszehn Jahren. Seit meinem elften Jahre vater⸗ und mutterlos, weilte ich im Penſionat von Mademoiſelle Lebrun. Wie oft hatte ich während dieſer fünf Jahre nach Freiheit, nach einer Veränderung ge⸗ ſeufzt; ich kam mir vor wie ein gefangener Vogel, dem es nach einem freien Fluge gelüſtet, der aber bergebens mit der Bruſt gegen die Eiſengitter ſchlägt — und als mir nun endlich Freiheit werden ſollte, da wich ich ſcheu vor dem Unbekannten, das meiner draußen in der großen Welt harrte, zurück. Bang und traurig klopfte mein Herz, als dle Stunde des A0ſchieds ſchlug, des Abſchieds, vielleicht auf Nimmer⸗ Wiederſehen, von meinen jugendlichen Freundinnen. Aber was halfs? — Die Koffer waren gepackt und drinnen im Salon wartete der Fremde, unter deſſen Obhut, wie Tante Aurelie beſtimmt halte, ich die faſt dreitägige Reiſe zu ihr unternehmen ſollte. Herr von Rodegg, mein Begleiter, war ein Monn in den beſten Jahren, von vornehmer Haltung und feinen Manieren; ſeine ſchlanke Geſtalt und ſeine ernſten und regelmäßigen Züge flöͤßten mir auf den erſten Blick volles Vertrauen ein, gleichzeitig aber auch den wa tiefen Falten auf ſeiner Stirn verriethen, daß ſeine Vergangenheit nicht immer glatt und ſonnig dahin⸗ geglitten war, doch um ſeine Lippen spielte bisweilen ein ſeltenes Lächeln, das den tiefen Ernſt in einen unſagbar freundlich gewinnenden Zug umwandelte, der mich von der erſten Stunde unſerer Bekannt⸗ halt benutzten, um zu Frühſtücken, meinte Herr ſchaft für ihn einnahm. Ein letztes Adieu meinen Freundinnen, ein letzter Abſchiedsgruß dem Hauſe, das Jahre hin⸗ durch mein einziges Heim geweſen war, und fort rollte der Wagen mit mir an der Seite des Herrn von Rodegg. Als wir im Eiſenbahnzug unſere Plätze einge⸗ nommen hatten, verſuchte er, ſich mit mir zu unter⸗ halten, da er aber auf all' ſeine Fragen nur ein ſchüchternes „ja“ oder „nein“ zur Antwort erhielt, gab er ſein Bemühen bald auf, lehnte ſich in die Polſter zurück und überließ fich ſeinen eigenen Gi⸗ danken, die, nach ſeiner finſter zuſammengezogenen Stirn und den feſt aufeinandergepreßten Lippen zu urtheilen, wenig angenehmer Natur ſein konnten. Der erſte Tag ſchlich langſam und unintereſſant dahin. Am zweiten Tage fühlte ich mich, des Reiſens gänzlich ungewohnt, ſo matt, ſo unglücklich; ich kam mir mit meinem ftummen Begleiter ſo ein⸗ ſam, ſo verlaſſen vor, daß ich mich ſchließlich nicht mehr beherrſchen konnte und zu weinen onfing. Raſch wandte mein Reiſegefährte ſich mir zu und fragte, was mir ſei, ob ich ich krank fühle; die leichte Ungeduld, die aus ſeiner Stimme heraus⸗ klang, verletzte und kränkte mein empfindſames Ohr ſo, daß ich trotzig den Kopf abwandte und jede Hülfe, jede Aufmerkſamkeit von ihm in unfreund⸗ lichem Tone ablehnte. 5 Als wir eine Stund ſpäter den kurzen Aufent⸗ Rodegg, ich ſühe ſo müde und angegriffen aus, ob wir nicht ein paar Stunden hier bleiben und erſt nach Mittag weiter fahren wollten; aber ich gab ein kurzes entſchiedenes „nein“ zur Antwort, worauf mein Begleiter nur ſtumm und ergeben die Achſeln zuckte, mich im Stillen aber ſicher ſür das eigen⸗ finnigſle, unartigſte Mädchen hielt, mit dem er je zu thun gehabt hätte. Dieſer zweite Tag verſtrich in gleich monotoner Woſe wie der gestrige. Nachts zwölf Uhr erwarteten wir in Dek zu ſein: dort wollten wir übernachten, um am nächſten Morgen per Dampfer unſer Endziel zu erreichen. Schon ſenkten ſich die abendlichen Schatten auf die Eide herab; regungslos ſaß ich da, die Augen auf die einzelnen Häuſer und Lichter gerichtet, nach denen wir uns wieder einer Station näherten — und gedachte mit Wehwuth und Sehnſucht der ſorgloſen Zut, die ich bei Mademoiſelle Lebrun zu⸗ gebracht hatte, ols piötzlich ein heftiger Stoß erfolgte, ein furchtbarer Krach, ein markerſchüttender Schrei, ein entſetzlicher Schlag auf meinen Kopf und ich