Erſcheint jeden Dienstag und Freitag Aben Matt Mk. 1.40 frei ins Haus. Preis vierteljährlich Mark 1.—, mit illustrierte Unterhaltungs⸗ Fin die Redaktion derantwortlich: Karl Molitor, Ladenburg. n Anzeigen: Druck 7 Ladenburg und Am 10 Pfg., Lokale Geſchäfts⸗ und Privatanzeigen 6 Pfg. 5 gegend. die 1⸗ſpaltige Corpus⸗Zelle oder deren Raum Corpuszeile. Reclamen 20 Pfg. und Verlag von Karl Molitor, Ladenburg. 3 * Nr. 89. Samſtag den 5. November 1892 Die Hriſttichen Kirchen und die chriſtliche Nächſten liebe. Mit ſtolzem Selbſtgefübl darf die evangelische N kböllerung des deutſchen Reichs auf die großen mag an gewaltigen, weltgeſchichtlichen Wirkungen zurückblick 'n, Shun de die deutſche Re ormatſon auf die gonz⸗ civi⸗ e Welt ausgeübt hat. So manche ſchweren ü Rande, die durch das kühne Auftreten des gott⸗ nadeten deutſchen Reformators nicht nur auf Uechlichen Gebi⸗ te beſeſtigt wurden, die herrliche fue ungenſchaft der Religions⸗ und Gewiſſensfreiheit tenz f en Lehr⸗ und Lernfreiheit, die ſchönſte Frucht der l Nez chen Refotmation, bilden eine der glorreichſten u Sin aditlonen der deutſchen Geſchichte. Es giebt in „ ehe gudensſachen keinen Zwang. Es wird auch keine aionskeiege mehr in Zukunft geben; die furcht⸗ tbenn en Verwwüſtungen, welche der dreißigjährige Keieg deulſchen Vaterlande angerichtet, haben mit der kenntnis geendigt, daß die beiden großen, chriſt⸗ en Kirchen, die evangeliſch⸗ und die katholiſche iche, völlig gleichberechtigte Religionsgemeinſchaften „ daß ſie beide den völligen Schutz des Staates gießen und daß eine Vergewaltigung der einen iche von Seiten der anderen ein ganz ausfichts⸗ es und nutzlobes Untern⸗hmen ſein würde. Von ter Seite droht alſo keiner der beiden Kirchen end eine Gefahr, ſo groß auch der Kampfesmuth r Heißſporne und Fanatiker der einen oder der deren Kirchen zuweilen erſcheinen mag. Heutzutage 1 1% bnnen vernüftiger Weſſe die beiden chriſtlichen — chen nur eine Aufgabe haben, denn ſie haben ngbut ide nach innen wie nach außen nur einen gemein⸗ oftlichen Feind. Wollten die beiden Kirchen ihre fte in nutzloſen Parteikämpfen zer ſplittern, ſo würden daraus nur die principiellen Gegner jedweder Religion und Kirchengemeinſchaft Vorteil ziehen, die beiden Kirchen ſelbſt würden ihre Exiſtenz nach und nach in Frage geſtellt ſehen. Allerdings wird mit der Freſheit der Forſchung auch der Dog⸗ menſtreit nicht aufhören, zumal in der evana'liſchen Kirche, wie denn der Streit um das apoſtoliſche Glaubensb⸗kenntnis augenblicklich lebhafter als j mals entbrannt zu ſein ſcheint, aber wir würden es aufs Tieſſte beklagen, wenn dieſer Dogmenſtreit über⸗ wuchern und die Hauptaufgabe, die jeder dieſer beiden christlichen Kirchen zugefallen, dadurch in den Hintergrund gedrängt werden ſollte. Dieſe Haupt⸗ aufgabe, die zugleich die Exiſtenzbedingung für die katboliſche wie für die evangeliſche Kirche geworden iſt, heutzutage, wo die ſoziale Frage den Mittel- punkt aller Beſtrebungen auf dem politiſchen, kiich⸗ lichen und wirtſchaftlichen G-biete bildet, iſt die Bethätigung der chriſtlichen Nächstenliebe die prak⸗ tiſche Anwendung der bimmliſchen Lehren des Ebriſtenthums, die ſich in dem geſamten Staats⸗ und Geſellſchaftsleben wiederſpiegeln ſollen. Der Dogmen ⸗ ſtreit, die vorzugsweife Beſchäftigung der Geiſtlichen beider Kirchen mit transſcendentalen Dingen, in⸗ tereſſirt weder die große Maße der katholiſchen noch der evangeliſchen B-völkerung. „Edel ſei der Menſch, hilfreich und gut“, ſo lautet das Dichterwort, das ſich mit der christlichen Lehre vom gerechten Er⸗ werbsleben deckt. Denn das Chriſtenthum fordert für jeden Erwerb die Redlichkeit durch eigene, ehr⸗ liche Arbeit. Das Cöriſtenthum verbietet die Aus⸗ beutung des Nächſten durch überl⸗gene, wirtſchaft⸗ liche Macht, fordert vielmehr die Hingabe jedes Einzelnen für das allg meine Wohl. „Jeder Arbeiter iſt ſeines Lohnes wert,“ heißt es in der heiligen Schrift. Es find die chriſtlichen Sittenforderungen an das Erwerbsleben, die Bekämpfung jedweden 1 1 —— 1 Schwindels, des Wuchers und der gewiſſenloſen Speculation, der auch die Diener der Religion ihre Aufmerkſamkeit und Thalkraft widmen müſſen. Das Evangelium und die Lehre Luthers haben das Haupkgewicht auf die Moraſpredigt gelegt. Hieran müſſen wir im Intereſſe der Staats ⸗ und Geſell⸗ ſchaftsordnung feſthalten. Die materialiſtiſche Zalt⸗ richtung, die jedweden G- winn, gleichviel, wie er erworben, als das höchſte Ziel des Strebens hin⸗ ſtellt, iſt der innere Feind der bekämpft werden muß. Der äußere Feind iſt das Ruſſentbum, welches die Religions⸗ und Gewiſſensfreibeit bedrobt. Schon Palmerſton ſagte im engliſchen Parlament vor nahezu 50 Jahren: „Die Herrſchaft Rußlands auf dem Continent würde der Tod aller bürgerlichen und religidſen Freiheit ſein.“ Heutzutage iſt die Ausbreitung der ruſſiſchen Ortbodoxie in allen Ländern des weiten Zarenreiches das Ziel der ruſſiſchen Politik; die katholiſche wie die lutßeriſche Kirche werden in den baltiſchen Probinzen wie in Congreßpolen aufs ſchonungsloſeſte verfolgt. Die Aufgabe des Staates iſt es demnach, den Einfluß der katholiſchen Kirche wie der evangeliſchen in den Dienſt der nationalen Verteidiaungszweckk zu ſtellen. Unter di⸗ſem G⸗ſichtspunkte kann die Taktik ein⸗ z Iner Culturkämpfer den Kampfesmut gegen Anders⸗ gläubige neu beleben, nicht ſtreng genug verurteilt werden. Volitiſches. 1. Nov. Die angegriffene Ge⸗ n, welcher ſeit der lang⸗ Jabren nie mehr ſo Aus Baden ſundheit unſeres Landesfürſte wierigen Krankheit vor drei recht geſundet iſt und ſeit jener Zeit häufig von katarrhaliſchen Anfällen heimgeſucht wird. bereitet allmählich der B völkerung große Beſorgniſſe. Zwar hat ſich der Fürſt von dem neueſten Anfall vorige Herzens ſtämpfe. Roman von Theodor Schmidt. „Ich kann mich ja, auch nicht beklagen,“ ver⸗ hte Herbert, „ich habe bisber gelebt wie die Blumen, one mir um etwas Gedanken oder Sorgen zu gchen. Erst wie ſich der Ebrgeiz in mir regte ud es mich nach einem gewiſſen Schatz gelüſtete, i da fing ich an, ernſter über das Leben nachzu⸗ enken und wie ich in mich blickte, da ſah ich wohl, oß ich jenes Schatzes nicht werth war. Wer ge⸗ erklärung, und Melanie lächelte, als ſie in ſein hübſches von Elfergerötetes Geſicht ſah. „Wenn Sie meinen, daß Ihnen das von Nutzen ſein kann, will ich Ihre Freundin ſein,“ ſagte ſie munter. „Gut,“ rief Herbert und ergriff ihre Hand „ich nebme dankend Ihr Anerbitten an, und wenn je die Zeit kommen ſollte, wo Sie eines kräftigen Armes und ſtarken Herzens bedürfen, ſtelle ich Ihnen mein Leben zur Berfügung.“ Dieſe Worte vergaß Melanie nicht. Curt von Roddeck war mit ſeiner jungen Frau von der Hochzeitsreiſe nach der Refidenz zurückge⸗ kehrt. Die junge Gräfin war ſo reizend und anmutig 4 innen will, muß a uch kämpfen.“ 1 „Warum thun Sie das nicht?“ entgegnete n Melanie trotz des inneren Kummers voll Intereſſe. „Sie find zu gleichgültig. Vor Allem muß 1 will, Mann Zutrauen zu ſich ſelbſt haben, wenn er daß Andere ihm vertrauen.“ „Fäulein Melanie,“ rief da Herbert plötzlich -wollen Sie einen Pact mit mir ſchließen? Wollen Sie meine Freundin ſein? Ein mal nur daun edle Taten fähig, ein edles Mädchen dazu antreibt. Freundin, und nichts ſoll mir zu einem hoch oder zu ſchwierig ſein, wenn Sie wollen. Ich würde ihre Fr als die Liebe der ganzen Welt!“ Herbert war ahnungslos dadon, Mann iſt manch⸗ wenn ihn nicht Seien Sie meine Verſuch zu mir helfen eundſchaft hoͤher ſchätzen, daß ſeine Worte eigentlich nichts Anderes waren, als eine Liebes beſaß ſie als Frau noch eine ruhige, ihre Schönheit noch erhöhte, und ihre Gedanken auf ihren Gemahl concenttitt, ſo hätten die Huldigungen und Schmei⸗ cheleien, die ihr von allen Seiten zu theil wurden, ihr wohl das Köpichen verderben müſſen. So lebte ſie wie in einem langen, köſtlichen Traum. In Liebe war fie aufgewachſen, Kummer Sorge kannte ſie nur dem Namen nach. Den einzigen Schmerz, den ſie erfahren, linderte die Alles heilende Hand der Zeit. Eines Morgens ſchien die Sonne ſo hell, die Blumen ſtanden in höchſter Blütenpracht, und die g Zweige der hohen Bäume neigten ſich, als wollten wie immer, nur edle Würde, die hätten ſich nicht all' fie Martha unter ihren Schatten einladen. Alles erſchien ſo friſch und froh, und die junge Frau ſetzte einen leichten Stroßhut auf ihr goldenes Haar, hing ein dünnes Tuch um die Schultern und ging hinaus ins Freie; die Thür, die nach dem Park führte, ſtand offen, ſie ſchritt hindurch und den breiten ſchattigen Fußweg hinab. Immer weiter und weiter ging ſie, bis ihr Blick plotzlich erſchrocken auf der Geſtalt einer ärm⸗ lich gekleideten Frau haften blieb, die in eigentüm⸗ licher Stellung auf einem moosbewachſenen Steinblock dicht om Gitter ſaß. Neugierig hatte ſie den Fuß⸗ weg binabgeblickt, als der erſte Schimmer von Marthas hellem Kleide fichtbar wurde und die Kinder, die in der Nähe ſpielten, gefragt: „Wer iſt die Dame dort im weißen Kleide und mit dem goldenen Haare?“ „Das iſt die junge Gräfin Roddeck,“ hatten die Kinder geantwortet. Da trat ein ſeliſamer Ausdruck in das Geſicht der Frau und ihre Augen folgten einer jeden Be⸗ wegung der großen ſchlanken, weiß gekleidtten Ge⸗ ſtalt. Martha aber ſah ſie erſt, als ſie ihr ganz nahe war, und da fiel ihr das tief bekümmerte und immer noch ſchöne Geſicht, der milde Blick der großen blauen Augen und die Schwere und Mattig⸗ keit der ganzen Geſtalt auf. Als ſie der Frau noch näherk am, ſtand dieſe auf ſagte, den Blick feſt auf das junge, ſchöne Antlitz vor ihr gerichtet: