Allgemeiner Anzeiger Erſcheint jeden Dienstag und Freitag Abend. Preis vierteljährlich Mark 1.—, mit illuſtriertem Unterhaltung blatt Mk. 1.40 frei ins Haus. Für die Redaktion verantwortlich: Karl Molitor, Ladenburg. Nr. 53. Samstag den 4. Juli Anzeigen: die 1⸗ſpaltige Corpus⸗Zeile oder deren Naum 1 10 Pfg., Lokale Geſchäfts⸗ und Privatanzeigen 6 Pfg. Corpuszeile. Reclamen 20 Pfg. Druck und Verlag von Karl Molitor, Ladenburg. rr Der ſtebenjährige Friede. f Wenn nicht alle Zeichen trügen, wird der Weltfriede mindeſtens noch auf ſieben Jahre hinaus nicht geſtört werden, denn der Dreibund, der im Frühjahr nächſten Jahres abläuft, iſt auf 6 Jahre verlängert worden, und welche Macht würde im Laufe der nüchſten ſieben Jahre die Verantwort⸗ lichkeit für eine Friedensſtbrung auf fich nehmen wollen? Von dem im Dreibunde vereinigten Mächten wird ſelbſtverſtändlich keine einen Angriff auf Rußland oder Frankreich machen. Das am 7. Oktober 1879 zwiſchen Deutſchlad und Oeſterreich⸗ Ungarn abgeſchloſſene Bündniß iſt kein Offenſtv⸗ und Devenfivbündniß, beide verbündete Staaten waren beim Abſchluß des Bündniſſes ausſchließlich bon dem Streben geleitet, den Frieden zu erhalten und Störungen desſelben nach Möͤglichkeit abzu⸗ wehren. Die beiden contrahirenden Mächte haben ſich nur für den Fall, daß Rußland eine derſelben angreift, verpflichtet, einander mit ihrer geſammten »Kriegsmacht beizuſtehen und den Frieden gemeinſam und übereinſtimmend zu ſchließen. Wird einer der contrahirenden Teile von einer anderen Macht als Rußland, alſo von Frankreich angegriffen, ſo verpflichtet ſich der andern Contrahent, dem Angreifer gegen ſeinen Verbündeten nicht nur nicht beizuſtehen, ſondern mindeſtens eine wohlwollende neutrale Haltung gegen den Oitzren zu beobachten; nur wenn in einem ſolchen Folle die angreifende Macht, alſo Frankreich, auch von Ruß⸗ land uuterſtützt werden ſollte, ſo find beide con⸗ trahirende Teile verpflichtet, ſich mit ihrer ganzen Heeresmacht zu unterſtützen bis zum gemeinſamen Friedensſchluß. Man ſieht, daß ein präventiver Krieg von Seiten der Verbündeten durch das Bündniß vollſtändig ausgeſchloſſen iſt. Dieſer dutaus friedliche Charakter des Bündes iſt auch durch den Beitritt Italiens zu demſelben, der fich im. Jahre 1886 vollzog, nicht geändert worden. Italien iſt nicht verpflichtet, Deutſchland zu unter⸗ ſtützen, wenn letzteres Frankreich, was man für durchaus unmöglich betrachten muß, mutwillig an⸗ greifen ſollte. Eine ſolche Verpflichtung tritt nur ein, wenn Frankreich in einem deutſch⸗ruſſiſchen Kriege Rußland unterſtützen ſollte. In dieſem Falle würden ſich Deutſchland und Italien bis zum gemeinſamen Friedensſchluſſe mit ihrer ganzen Heeresmacht Beiſtand leiſten. Sicherlich wird daher Frankreich nicht die Initiative zu einem Kriege gegen Deutſchland oder Italien ergreiſen, es käme dies einem Selbſtmorde gleich. Es bleibt alſo nur noch Rußland übrig. Nun dieſe Macht zieht den größten Vorteil aus der Fortdauer des Friedens bei der gegenwärtigen europäiſchen Conſtedation. Rußland ſſt durch den mittel⸗europäiſchen Friedens⸗ bund die Sicherheit gewährt, ſeine Kriegsrüſtungen zu vervollſtändigen, und da ſeine gegenwärtige Kriegs⸗ macht noch bei Weitem nicht ſtark genug iſt, um mit Erfolg einen Angriff auf Oeſterreich oder Deutſchland unternehmen zu können, ſo wird es ſich hüten, eine kriegeriſche Action in Scene zu ſitzen, die ihm nur die empfindlichſten Niederlagen zuziehen könnte. Es wird aus ſeiner Reſerve weder in der Orientfrage noch in den ſonſtigen continentalen Angelegenheiten heraustreten. Man könnte dieſe Paſſivität der Friedensmächte geg nüber einem ſo gemeingefährlichen G'gner wie Rußland vielleicht beklagen, deſſen Chancen mit jedem Luſt⸗ rum, ja mit jedem Jahre ſich vermehren, indeſſen ſcheinen die Regierungen der Friedenmächte der Ueberzeugung zu ſein, daß ihre vereinigte Macht noch auf lange Zeit hinaus genügt, um einer Machtenentwickelung Rußlands nach dem Weſten hin rechtzeitig mit Erfolg begegnen zu können, und in dieefr Ueberzeugung werden ſie bei der anſchei⸗ nenden Zuverläſſigkeit ihrer Alliance⸗Verhältniſſe ſchwerlich wanlend gemacht werden. Auf den fie⸗ benjährigen Frieden wird man ſonnach großes Ver⸗ trauen ſetzen können. i Polkitiſches. Amſterdam, 1. Juli. Bei prachtvollem Wetter kam der Kaiſer und die Kaiſerin 1 Uhr 40 Minuten in Amſterdam an. In Ymuiden durch ein niederländiſches Geſchwader begrüßt, beſtieg das Kaiſerpaar die Pacht und fuhr durch den nordhol⸗ ländiſchen Kanal. Das Y bot einen prachtvollen Anblick. Sämmtliche Fahrzeuge der Amſterdamer Ruder⸗ und Segelvereine ſtanden feſtlich geſchmückt in Parade da, ebenſo acht Kriegsſchiffe, viele Oſt⸗ indien⸗ und Weſtindienfahrer und eine Menge mit Zuſchauern gefüllter Privatbobte. Eine Batterie Artillerie feuerte 51 Schüffe ab, bis der Kaiſer ans Land geſtiegen war. Am Landungsplatze ſtand eine Schwadron Huſaren und eine Kompagnie als Ehrenwache. Ein 120 Meter langer und mit hol⸗ ländiſchen und deutſchen Farben ausgeſchlagener und mit Blumen reichlich verzierter Gang führte zum Königszelt, das einen Blumengarten bildete. Als ſich die Pacht des Kaiſers der Landungsbrücke nähertr, erfüllte touſendſtimmiger Jubel die Lüfte. Nach der Begrüßung begann die Fahrt nach dem Palaſt auf dem Damm. Im erſten mit 4 Pferden bdeſpannten Wagen ſaß der Kaiſer, der Adwirals⸗ uniform trug, und die Königin ⸗ Regentin. Im zweiten Wagen folgte die Kaiſerin und die junge Königin Wilhelmine; in 18 weiteren Wagen das Gefolge. Sümmtliche Straßen waren mit einer Verthers Schatten. 1. Novelle von Karl Coſſſau. Nachdruck verboten. Neuglerig ſteckten vor hundert Jahren an einem heiteren Sommertage die Schwalbheimer die Koͤpfe jq!u den offenen Fenſtern hinaus und der kiatſch flüchtige Zollerheber an der Briicke über die Schwalb, vor welcher der Schlagbaum in den ſriſch prunken⸗ den Landesfarben ſich gleich einem drohenden Zeig⸗ finger erhob, als wollte er jeden Reiſenden zurufen; „Thue den Beutel auf, Mann!“ — trat ſogar ob des ungewohnten Anblicks auf der Gaſſe zur offenen Thür hinaus, denn es war ein heißer Sommertag, und die Sonne brannte glühend auf die rothen Ziegel⸗ dächer von Schwalbheim. Die Stadt beſaß nur zwei Straßen, die Südgaſſe und Nordgaſſe, auf deren wohl noch lange dauern, ehe der geputzte Affe als holprigem Pflaſter das reichlich wachfende Gras kei⸗ beſonders günſtiges Zeugniß über den Verkehr des Ortes ablegte. Reiſewagen ein, in welchem zwei Studenten in ſchwarzen Sammetlöcken, weißen Reithoſen und hohen Kanonenſtiefeln, auf dem Kopfe buntfarbige Cereviskappen, nachläſſig ſaßen. Zwei große ſchöne Doggen begleiteten das Gefährt und leiteten die Be⸗ kanniſchaft mit den zahlreichen In die Südgaſſe lenkt eben ein Graf von Schwalb haben ja längſt einen neuen Amtmann gewählt!“ Schwalbheimer Kötern durch ein ohrztrreizendes Gekläff ein. Das war die Urſache der Erregung aller Schwalbheimer Köpfe, die jetzt hinter den Blumentöͤpfen und ſchnee⸗ weißen Gardinen zum Vorſchein kamen. Der dicke Zollerheber ſchüttelte den einer großen Kohlrübe ähnlichen Kopf und brummte: „Beim Roland von Schwalbheim, wenn das nicht Helbigs Werther, der prahleriſche Student aus Jena iſt, ſo will ich mein Lebelang Nachtwächter im Orte ſein!“ Zpflers, des Zollerhebers Gedankenkombination pflegte ſich nicht in den weiteſten Kreiſen zu bewegen, doch die Aſſociation ſeiner Ideen fand diesmal einen natürlichen Stützpunkt in dem Erſcheinen des alten Baring, Polizeidieners, Feldhüters und wohlbekannten Wächters der Nacht von Schwalbheim, der ſoeben die Straße heraufhumpelte und bei Zipfler ſtehen blieb. Mit dem Daumen deutete er hinter ſich und meinte dann: „S' iſt Helbigs einziger Sohn! Wird auch Gerichtshalter im Hennigſtedter Amtshauſe ſitzt!“ „Hat noch lang zu ſitzen, Baring, der Herr „Was Sie ſagen!“ „Weiß Er's denn nicht! Zimmermeiſter Buſch's Sohn Paul hat die Stelle erhalten!“ „Ei, der Paul iſt Amtmann?“ „Hat aber etwas gelernt, Baring!“ „So! Na, Helbigs Sohn bringt ja auch noch 0 einen Komilton, wie ſie's nennen, mit; da wird's wohl bald wieder eingeſchlagene Fenſter, und auch ſonſtige Tollheiten in Schwalbheim geben!“ „Möglich!“ „Na, denken Sie denn nicht mehr an die litzten Ferien, Herr Zipfler? An die in die große Hängelaterne auf der Nordgaſſe geſperrte Katze und die vertauſchten Schilder ehrſamer Geſchäſtsleute ? Hab' Nol genug damit gehabt!“ Herr Zipfler lachte hoͤhniſch auf: „Und Er iſt um Seine gewohnte Nachtruhe gekommen?“ Hier wurde aber der Invalide böſe und ent⸗ gegnete entrüſtet: f „Laſſen Sie doch die Wize, Herr Einnehmer! Ich bin ein pflichtgetreuer Beamter!“ „Nun ja, war auch nicht böſe gemeint! Hat Er auch ſchon etwas davon gehort, daß Woland ſeinen Garten verkauft hat?“ „Allersdings“, brummte Baring, „Gaffelin von der goldenen Sonne hat ihn gekauft, will ſeinen Kaffeegarten vergrößern!“ Zpfler erwiederte: „Mit Woland ſoll es nicht gut ſtehen!“ Er drehte die Hand hin und her und zeigte auf Wolands Haus. „So, ſo?“ meinte der Alte. „Er geht aller⸗ dings ein bischen viel in die Kaffeewirtſchaſten —“ „Spielt und trinkt !,