Allgemeiner Anzeiger für adenburg Erſcheint jeden Dienstag und Freitag Abend. Preis vierteljährlich Mark 1.—, mit illuſtriertem Unterhaltungs⸗ blatt Mk. 1.40 frei ins Haus. Für die Redaktion verantwortlich: Karl Molitor, Ladenburg. — —— Nr. 52. — und Amgegend. Anzeigen: die 1⸗ſpaltige Corpus⸗Zelle oder deren Naum 5 f 10 Pfg., Lokale Geſchäfts⸗ und Privatanzeigen 8 Pf. . Corpuszeile. Reclamen 20 Pfg. Mittwoch den 1. Juli Abonnementseinladung. Mit dem 1. Juli beginnt das III. Quartal dieſes Blattes und ladet zu zahlreichen Beſtellungen freundlichſt ein Hie Expedition. Volitiſches. Berlin, 30. Juni. Kaiſer Wilhelm hat am Montag ſeinen Aufenthalt in Kiel, währenddeſſen der hohe Herr beſonders Segelfahrten mit ſeiner neuen Segel⸗Dacht „Meteor“ in der Oſtſee unter⸗ nahm, beendigt, um nach Hamburg weiter zu reiſen. Hier traf der Kaiſer am genannten Tage vormit⸗ tags mit ſeiner erlauchten Gemahlin zuſammen, welche Abends zuvor vom Neuen Palais bei Pots⸗ dam nach Hamburg abgereiſt war; nach kurzem Aufenthalte begaben ſich die Majeſtäten mittels des Salondampfers „Fürſt Bismarck“ nach der Inſel Helgoland. 5 Helgoland, 30. Juni. Das Kaiſerpaar iſt um 6 ½ Uhr nach ſchwerem Gewitter bei ſchönem Wetter hier eingetroffen; auf der Fahrt die Elbe abwärts teilte der Kaiſer unter lebhafter Freude dem Direktor der Packetfahrt, Niſſen, mit, daß der Dreibund weitere ſechs Jahre verlängert worden ſei. — Die Beſchlüſſe des jüngſt unter Vorſitz des Kaiſers ſtattgefundenen preußiſchen Kronrates werden in der geſammten deutſchen Tages preſſe eingehend erörtert. Es gilt dies hauptſächlich von dem Be⸗ ſchluſſe, für koloniale Zwecke in Deutſch⸗Oſtafrila eine allgemeine deutſche Lotterie zu veranſtalten, deren auf 2½ Millionen Mk. feſtgeſtelltes Rein⸗ erträgnis für die betreffenden Zwecke verwendet werden ſoll. Dieſer Plan begegnet bei der öffent⸗ lichen Meinung Deutſchlands überwiegend einer ſehr ungünſtigen Aufnahme und letztere kann man ſchwer⸗ lich als ungerechtfertigt bezeichnen. Denn der Ge⸗ danke, durch eine Reichslotterie die Mittel zur För ⸗ derung deutſcher kolonialer Zwecke zu erhalten, trägt doch einen ſehr eigentümlichen Zug an ſich, es fieht ja beinahe fo aus, als habe das deutſche Reich nicht einmal 2½½ Millionen Mk. zur Förderung deutſcher kolonialpolitiſcher Intereſſen übrig. Nun gilt es allerdings zu berückfichtigen, daß die mit der Afrika⸗ Lotterie aufzubringende Summe in der Hauptſache zur Deckung des Reſtes der Koſten für den Wiß⸗ mann Dampfer auf dem Viktoriaſee und deſſen Transport von der oſtafrikaniſchen Küſte nach ſeinem Beſtimmungsorte dienen ſoll. Es handelt ſich hier⸗ bei alſo um ein privates koloniales Unternehmen, welches das Reich offtziell auch jetzt nicht gut unter⸗ ſtützen kaun, nachdem die Reichsregierung von An⸗ fang an darauf verzichtete, vom Parlamente Mittel zur Unterſtützung des Wißmann⸗Unternehmens zu verlangen. Aber da hätte dasſelbe wohl nicht ohne vorherige Sicherung des finanziellen Erfolges in Szene geſetzt werden ſollen; jetzt ſollen nun für den Wißmann⸗Dampfer die noch reſtirenden 2½ Mill. Mark durch eine ſtaatlich konzeſſionirte Lotterie auf⸗ gebracht werden; ob aber die deutſche Kolonialpolitik hierdurch an Anſehen im Auslande gewinnt, möchte faſt zu bezweifeln ſein. — Während man in der Schweiz noch immer unter dem Eindrucke der entſetzlichen Eiſenbahnkata · ſtrophe von Mönchenſtein ſteht, wird aus der Schweiz von einem neuen Eiſenbahn⸗Unglück berichtet, das ſich ſehr leicht zu einer zweiten fürchterlichen Kata⸗ ſtrophe hätte geſtalten können. Am Abend des 25. Juni blieb der von Brugg nach Baſel abglaſſene Perſonenzug im Bötzberg⸗Tunnel (Nordoſtbahn) ſtecken, weil die Maſchine infolge eines Defektes den Dienſt verſagte. Als nach längerem Stillſtande der Zug von der Maſchine rückwärts geſchoben wurde fuhr der inzwiſchen von Brugg abgegangene Güter⸗ zug in den hinteren Teil des Perſonenzuges hinein, wodurch mehrere Wagen beſchädigt und einige Per⸗ ſonen mehr oder weniger erheblich verletzt wurden Nur der Umſtand, daß der Güterzug wegen des ſtarken Anſteigens der Strecke von Brugg bis zum Tunnel ſehr langſam fuhr, verhinderte, daß der Un fall größere Dimenſionen annahm. Dem Güterzug war ollerdings vom Tunnelausgange nach Brugg das Halteſignal (rote Laterne) gegeben worden, da indeſſen der Wind den Maſchinenrauch gerade au dos Haltefignal zutrieb, ſo bemerkte der Führer de Güterzuges dasſelbe zu ſpaͤt. a London, 29. Juni. Nach einer Meldun aus Tauris griffen Kurden das türkiſche Kouſula in So⸗uj⸗Bolak an, um den Konſul Thomas, wei cher die Herausgabe der geraubten Katy Greenfiel gefordert hatte, zu ermorden. Der Konſul floh i das Regierungsgebäude. Truppen ſind nach So⸗uj Bolak beordert worden. Konſtantinopel, 28. Juni. Der deutſche Kaiſer richtete ein eigenhändiges Schreiben in war⸗ men Ausdrücken an den Sultan, in welchem er demſelben für das Entgegenkommen und die ſchnelle Befreiung der Gefangenen von Tſcherkeskoi dankt und ihn bittet, auch der hohen Pforte, insbeſondere dem Großvezier und dem Miniſter des Aeußeren, für deren Haltung zu danken. Der Sultan, hoch⸗ erfreut, beauftragte den Botſchafter Radowitz, ſeine herzliche Dankbarkeit zu übermitteln. Der Sultan empfing geſtern nach dem Selamkil den deutſchen Botſchafter v. Radowitz, welcher das Großkreuz des großherzoglich ſächſiſchen Ordens vom weißen Falken, ſowie zwei eigenhändige Briefe des Großherzogs von 9 1 Ein Kampf um's Glück. 14. Novelle von F. Sutan. Schwerfällig, als vermöchten ihn ſeine Füße nicht weiter zu tragen, ſtieg er den ſteilen Weg nach dem Strande hinunter. Ein dumpfer Schrei drang durch die Luft — einer von jenen erſchütternden Tönen menſchlichen Todeswehs — dann ſank er neben Gertruds erſtarrten Körper auf die Erde. — In heſßer Angſt beugte er ſich über das erblaßte Ant⸗ litz, aus einer Stirnwunde der Verunglückten ſtröͤmte das warme, rote Blut. Mit ungeſchickter, zittern⸗ der Hand ſuchte Wandrau die Wunde mit ſeinem Taſchentuche, zu verbinden, War noch Hilfe, Rettung möglich? War Gertrud todt? Da flog es wie ein Lebenshauch über die erſtarrten Züge; noch einmal blicken ihre treuen Augen zu ihm auf und ihre Appen bewegten ſich leiſe: „Ich ſterbe“ flüſterte fie — „Werde glücklich — mit ihr — mit Ulrika!“ Die ſcheidende Seele Gertruds hatte den erſchüttern⸗ den Schrei Wandraus vernommen und hatte es ver⸗ mocht dieſe Worte der ſterbenden Hülle abzuringen. Nun ſchwebte ſie empor, befreit von allem Erdenleid und ein tiefer Frieden bereitete ſich über das bleiche Anlitz der Todten. Die Nacht verging und der Morgen dämmerte. Das Meer war ruhiger geworden, wie im leiſen Klageton murmelten die Wellen. Und nun brach die J 1 Sonne hervor in leuchtender Pracht, das Meer er⸗ glühte wie eine Braut beim Kuſſe des Geliebten. Im Walde drüben rauſchte und flüſterte der Morgen⸗ wind, einzelne Vogelſtimmen zwitſcherten und Alles ſtrahlte und leuchtete im roſigen Schimmer des Morgens. Wandrau hatte ſeinen Platz neben der Toten noch nicht verlaſſen, im ſtarren verzweifelten Schmerz Schmerze die — waren ihm die Stunden dahingefloſſen, und als jetzt ſeine Blicke über die ſchöͤne, weite Gotteswelt irrten, worin Alles zum Leben erwachte, da dräng⸗ ten ſich die erſten bittern Thränen aus ſeinen Augen und dieſe Thränen waren ihm ein Geſchenk des Him⸗ mels, ſie bewahrten ihn vor gänzlicher Ver zweifelung Einige Fiſcher kamen jetzt nach dem Strande, um ihre Boote für den Fiſchfang flott zu machen Wandrau ging ihnen entgegen, in kurzen Worten teilte er ihnen mit: Daß eine der Diakoniſſen in dieſer Nacht verunglückt ſei und bat ſie, die Todte nach der Wohnung der Diakoniſſen zu tragen. Als die Männer in ſein ſchmerzdurchwühltes Antlitz blickten, wagten ſie keine Frage weiter zu thun, ſtumm befolgten ſie ſeine Bitte. Wandrau gab ihnen nur eine kurze Strecke das Geleit, dann wandte er ſich hinweg, um mit ſeinem tiefſte, dunkelſte Einſamkeit der Wälder aufzuſuchen. und den Zungen! Denn gerade die klatſchſüchtigen Badegäſte aus der gebildeten Welt würden ja Worte, Ihm bangte vor den Menſchen viele krtiftrende Worte über den grauenhaften Vor⸗ fall finden und nicht verſtummen vor dem Ausdruck des Schmerzes in einem Menſchenantlitz, wie dieſe rauhen Fiſchersleut e. Dir Kunde von dem jähen, ſchrecklichen Ende der jungen Diakoniſſin hatte ſich ſchnell in dem Bade⸗ orte verbreitet. Zu Ehrhard's Ohren war ſie ſchon in den erſten Vormiktagsſtunden gedrungen und zwar mit verworrenen Berichten, von einem todtenblaſſen Mann, der ſie gefunden und den Fiſch⸗ ern den Auftrag gegeben hatte, die Leiche fortzu⸗ tragen. Er hätte ſelbſt ausgeſehen wie ein Todter, hatten die Leute erzählt. Mit bangen Gedanken dachte Ehrhard an Wandrau. Sollte er es geweſen, der die todte Diakoniſſin den Fiſchern übergeben hatte. Dann war er ja furchtbar entſetzlich geſtraft für ſeinen Fehltritt und bedurfte wohl mehr denn je die Nähe des Freundes. Erhard begab ſich zunächſt nach Wandraus Wohnung als er hier erfuhr, daß derſelbe ſeit dem vergangenen Abend nicht zu Haus gekommen ſei, ſuchte er Ulrika auf. Vielleicht war Wandrau die Nacht in dem benachbarten Badeorte geblieben, viel⸗ leicht hatte er ſich mit ſeiner Gattin verköhnt. Wiel⸗ leicht war die Schreckenskunde noch nicht zu ihm gedrungen und er durfte ſie ihm ſchonend mitteilen. Unter ſolchen Gedanken hatte Ehrhard Ulrikas Wohnung aufgefunden. Wandtau war nicht dort.