755 Allgemeiner Anzeiger für Lade Erſcheint jeden Dienstag und Freitag Abend. . 7 b vierteljahrlich Mark 1.—, mit illuſtriertem Unterhaltungs⸗ Anzeigen: die 1⸗ſpaltige Corpus-Zeile oder deren Naum 10 Pfg., Lokale Geſchäfts⸗ und Privatanzeigen 6 Pfg. blatt Mk. 1.40 frei ins Haus. Nr. 29. Für die Redaktion verantwortlich: Karl Molitor, Ladenburg. Samstag den 11. April Volitiſches. Ladenburg, 11. April. Der Kaiſer iſt am Mittwoch Abend von ſeinem Ausfluge nach der Oſtſeeküſte im beſten Wohlſein wieder in Berlin ein⸗ getroffen. Als weitere Reiſeziele des hohen Herrn in nächſter Zeit werden die Wetterau, wo ein Beſuch beim Grafen Görtz ſtattfinden ſoll, und Darmſtadt bezeichnet. In letzterer Reſidenzſtadt würde, wie es heſßt, unſer Kaiſer eine Zuſammenkunft mit der 1 zur Zeit noch in Südfrankreich weilenden Königin von England haben. 1 Die parlamentariſche Oſterpauſe hat ſeit Dienstag ee kun Thaligteit im Reſchsbage Platz gmacht. Derſelbe nahm am genannten Tage die Einzelbe⸗ ratung des Arbeiterſchutzgeſetzes wieder auf, und zwar bis § 120 a, welcher die Vorſchriften über die Anlage der Arbeitsräume, der Betriebsvorrichtungen u. J. w. betrifft. Vor Eintritt in die Beratung hierüber wurde vom Abg. van Hülſt (nat.⸗lib.) im Namen der oſtfrieſiſchen Abgeordneten eine Erklärung betreffs der Erwiderung des Kriegs miniſters v. Kal⸗ tenborn abgegeben, welche Herr v. Kaltenborn den Ausführungen des Abg. Bebel über Soldatenmiß⸗ handlungen in Aurich hatte zuteil werden laſſen. Die Aeußerung des Kriegsminiſters enthielt gegen den oſtfrieſiſchen Lehrerſtand den indirekten Vorwurf unpatristiſcher Geſinnung, welchen Vorwurf Abg. van Hülſt lebhaft bedauerte, mit dem Hinzufügen, die oſtfrieſiſchen Abgeordneten würden die Sache bei geeigneter Gelegenheit zur Sprache bringen. Bei der nun folgenden Diskuſſion des § 120 a wurden von ſozialdemokratiſcher Seite zahlreiche Klagen da⸗ über laut, daß auch durch das vorliegende Geſetz noch lange nicht genügend für den Schutz von Ge⸗ ſundheit und Leben der Arbeiter geſorgt werde und gab hierbei Abg. Bebel der Verſchiedenartigkeit der Druck und Verlag von Karl Molitor, Ladenburg. Corpuszeile. Reclamen 20 Pfg. 1891 Einrichtung der Gewerbe⸗Inſpektionen die Schuld an den von den ſozialdemokratiſchen Rednern ge⸗ tügten ſanitären Mißſtänden in vielen Fabrik⸗ Etabliſſements. Von Seiten der Regerung wie auch von anderen Parteien widerſprach man den ſozialdemokratiſchen Behauptungen, als vielfach über⸗ trieben; ſchließlich genehmigte das Haus § 120a unverändert. Im weiteren Fortgange der Sitzung wurden noch die Paragraphen 120b (Verpflichtung der Arbeitgeber zur Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anſtandes bei der Arbeit), 1200, 120d (Polizeiliche Verfügung zur Durchführung der Arbeiterſchutzſchriften, Recurſe der Unternehmer da⸗ gegen) und 120e (Berechtigung des Bundesrates zum Erlaß von Vorſchriften darüber, welchen An⸗ ordnungen in beſtimmten Fabrikanlagen behufs ge⸗ nauer Beobachtung der Arbeiterſchutzbeſtimmungen der 88 1203 — 120e zu genügen iſt) unter Ab⸗ lehnung aller geſtellten Abänderungsanträge nach den Kommiſſionsbeſchlüſſen angenommen. Die „Nordd. Allg. Ztg.“ kommt in einer Be⸗ trachtung, die ſie der internationalen Lage widmet, zu dem Schluſſe, daß letztere überall als befriedigend und beruhigend erſcheine. Das Blatt tritt der Auffaſſung des engliſchen Staatsmannes Ferguſſon bei, daß die allgemeine Weltlage den Frieden dauernd ſichere und könnten daher die Völker ſich mit ganzer Kraft den wirtſchaftlichen Arbeiten und Kulturaufgaben widmen. — Angeſichts der weitgehenden Beunruhigung, welche die jüngſten Vorgänge in Bulgarien unter den europäiſchen Friedensfreunden erregt haben, erſcheint es doch ziemlich gewagt, von einer allgemein befriedigenden Weltlage zu ſprechen. Was aber die Behauptung von einer „dauernden Sicherung“ des Friedens an⸗ belangt, ſo iſt dieſelbe mehr als optimiſtiſch — denn was heißt in dieſem Falle dauernd? Niemand kann die Bürgſchaft dafür übernehmen, daß nicht vielleicht ſchon im nächſten Jahre der große Vöͤlkerkrieg end⸗ lich entbrennt! In Frankreich tagen zur Zeit die General⸗ räte, die Vertretungen der Departements. In ihnen kommen zwar meiſt nur Fragen mehr provinziellen und lokalen Charakters zur Erörte ung, doch fehlt es daneben auch nicht an Fragen von allgemeinem Intereſſe. So find diesmal in einer Reihe von Generalräten Anträge geſtelt worden, welche ſich auf die in Frankreich ſchwebende „Zollreform“ beziehen und teils gegen die betreffenden Vorſchläge der Zoll kommiſſion der Deputirtenkammer gerichtet find, teils aber auch dieſelben verteidigen. Jedenfalls wird die Generalrats⸗Seſſion durch die Verhand⸗ lungen über die genannten Anträge den Gegnern wie den Freunden der jetzt in Frankreich mehr und mehr Oberwaſſer gewinnenden hochſchutzzöllneriſchen Richtung erneut Gelegenheit geben, ſich mit einander zu meſſen. Hamburg, 8. April. Die „Hamb. Börſen⸗ halle“ bringt eine Meldung aus Kamerun vom 28. Februar über ein Gefecht vom 31. Januar im Hinterland von Kamerun von zwei Expeditionen Zintgraffs und 5000 verbündeten Balis gegen 10,000 Bafuts, Bandengas und andere Stämme. Anfangs war Zintgraff ſi⸗greich, am ſpäten Nach⸗ mittag fand indeß ein Rückzugsgefecht ſtatt. Es fielen außer den bereits bekannten Heinrich, Nehber und Tildt die Lieutenants von Spangenberg und Huve, 68 W yungen, 100 Balis und 500 Feinde. Die Urſache des Krieges bildete die Ermordung zweier von Zintgraff an den Bafuthäuptling ge⸗ ſandten Weyungen. Zintgraff blieb 14 Tage in Balibung und begab fich, als alles ruhig war, Die Hüttenkönigin. Roman aus der Gegenwart von Walther Hogarth Leonhard kletterte eine lange Thalſchlucht empor, macht oben in tiefer Waldein⸗ amkeit vor einem Wärterhäuschen halt, ſchließt das Häuschen auf, ſchlüpft hinein und kommt nach kaum zehn Minuten als Jäger gekleidet und faſt unkennt⸗ lich wieder aus dem Häuschen. Ich verberge mich m Geſtrüpp und laſſe den ſeltſamen Mann dicht an mir vorbei, da ſehe ich, daß es der leib⸗ haftige Baron Rothick iſt. Geflügelten Schrittes eilt er die Waldberge hinab und ſch kann kaum aſch genug hinterherkommen, um noch zu ſehen, wie der Baron in das Förſterhaus ſtürmt. Dahin onnte ich ihm natürlich nicht folgen und ging wie⸗ der nach der Johanna Grube. Dort traf heute Morgen der angebliche Oberſteiger Leonhard ein, ntſchuldigte ſich wegen ſeiner geſtrigen Krankheit nd arbeitete wi der fleißig. Ich konſtatirte aber ganz ſicher, daß er trotz ſeines veränderten Aus⸗ chens und der veränderten Haar- und Bartfriſeur ganz deutlich die Züge des Barons von Rotheck ragt und zweifellos auch Baron Rotheck ſelbſt iſt.“ Sprachlos vor Staunen ſtand Eliſabeth da, als der alte Herr ſeine Erzählung beendet. „Was raten Sie mir, in der Angelegenheit zu thun, lieber Rieſe?“ fragte ſie dann. Nun, was den Oberſteiger Leonhard anbetrifft ſo denke ich, den laſſen wir in ſeiner Stellung, ſo lange ſie ihm gefällt, und ſo lange er ſeine Pflicht und Schuldigkeit thut. Daß er nebenbei auch Baron Rotheck iſt, das geht uns eigentlich nichts an, und wir haben wohl auch keine Urſache, ſein Geheimniß zu lüften.“ „In dieſem Punkte haben Ste ſehr recht, lieber Direktor aber wer loͤſt mir das Rätſel? Wie kommt Baron Rotheck, ein vornehmer und reicher Cavalier dazu, als ganz gewöhnlicher Berg⸗ mann in der Johanna⸗Grube zu arbeiten und ſich in der immerhin für ſeine Vethältniſſe recht müh⸗ ſamen Stellung eines Oberſteigers, die er nun er⸗ langt hat, wohl zu fühlen. Wer loöſt mir das Rätſel?“ „Ich wage es nicht zu löſen, gnädiges Fräu⸗ ein,“ erwiederte leiſe und mit auffälliger Betonung der alte Direktor, „aber vielleicht finden Sie des Rätſels Löſung ſelbſt!“ Eliſabeth errötete leicht bei dieſer zarten An⸗ ſpielung des treuen alten Dieners und entließ ihn dann freundlich mit der Mahnung, daß das Ge⸗ heimniß des Barons Rotheck zu wahren ſei. — Die Eröffnung des Direktors Rieſe hatten auf Eliſabeth einen ſehr tiefen Eindruck gemacht. Die ſchwärmeriſche Neigung, welche ſie ſeit jener mutigen That für den ritterlichen Baron von Toͤp⸗ pen empfand und welche nahe daran war, ſich in wahre Liebe zu dem Baron umzuwandeln, falls er das entſcheidende Wort rechtzeitig geſprochen hätte, begann bei Eliſabeth zu erkalten. Sie war zu wenig ſentimentales Mädchen und hatte zuviel von der kühl abwägenden Klugheit ihres Vaters geerbt, um taub gegen die Warnungen des alten treuen Rieſe zu ſein, der ficher nur das Wohl ſeiner Herrin im Auge hatte. Nein, ein leichtlebiger Cavalier, ein zwar liebenswürdiger, aber dem ver⸗ ſchwenderiſchen, arbeſtsloſem Leben zugeneigter Edel⸗ mann, mochte er auch ſonſt in dem Rufe eines Gentlemanns ſtehen, paßte nicht als Gatte für ſie, das ſah Eliſabeth ein. Das war ja auch der Grund geweſen, weshalb ſie ſeit Jahren die Wer⸗ bungen ſo vieler Cavaliere abgewieſen hatte, und nun ſollte ſie doch, weil Baron Töppen einen tomantiſchen Reiz auf ſie ausübte, dem guten alten Vorſatze untreu werden und einem Cavalier, der offenbar noch leichtlebiger war, als die meiſten anderen ihre Hand reichen? Nein, vor die ſem Gedanken ſchreckte fie jetzt zurück. Aber ſo ganz ließ ſich Eliſabeths Neigung zu dem ritterlichen und liebenswürdigen Toͤppen doch nicht gleich aus ihrem Herzen reißen. Und wie würde es mit dieſer Neigung werden, wenn Töppen wieder mit dem Zauber ſeines ganzen Weſens vor