zubender Jubelruf. Nachdem die Majeſtäten ihre! Andacht verrichtet hatten, ſetzte ſich der Zug von Neuem in Bewegung und betrat alsbald den Kreml. Der Kaiſer wird nicht im Kreml Wohnung nehmen, ſondern nach dem Alexandrowskipalaſt begeben und daſelbſt bis zur Krönung verweilen. Gegenwärtig indet in den verſchiedenen Kirchen des Kremls der vorgeſchriebene Gottesdienſt ſtatt. Das Wetter iſt etwas bedeckt. 8 Moskau, 23. Mai. Heute mittag fand im Woffenſaale des Kremlpalaſtes vor dem Kaiſer, der Kaiſerin und der kaiſerlichen Familie die feierliche Einweihung des Reichsbanners ſtatt. Der Kaiſer und die Kaiſerin hatten ſich vor⸗ mittags in offenem Wagen ohne alle Eskorte nach em Kreml begeben. Ueber den glücklichen Verlauf des Einzugs iſt überall die höchſte Befriedigung. Nur ein kleiner Unfall iſt vorgekommen: Kammerherr v. Stürmer ſtürzte mit dem Pferde und zog ſich einige Verletzungen zu. Verſchiedenes. e Schwetzingen, 21. Mai. Die Fabrik⸗ anlagen zu Rheinau nehmen ſeit einiger Zeit eine immer größere Ausdehnung an. Nicht nur hat die chemiſche Fabrik ein neues Fabrikationsgebäude unter Dach gebracht, es wurde auch in nächſter Nähe gegen en Rhein zu eine Filiale der Neckarauer Hart⸗ gummiwaaren⸗Fabrik in Betrieb geſetzt. Ferner hat die Rahr'ſche Dampfziegelei ihre Schienengeleiſe vom Hochgeſtade aus weiter in die Wieſengründe gegen das alte Rhein- und Neckarbett zu vorgeſchoben, um dort ihr Material zu beziehen; und damit es nicht an Wettbewerbung fehle, wurde zunächſt der Halteſtelle die Eder'ſche Dampfziegelei fertig geſtellt. Endlich wurde unweit davon eine ziemlich umfang⸗ reiche Korbflechterei von einer Mannheimer Firma eingerichtet. 5 — Heidelberg, 22. Mai. Das Programm zu dem in den Tagen des 6. bis 10. Juni d. J. dahier ſtattfindenden 7. Berbandstage Deutſcher Con⸗ ditoren iſt ſoeben ausgegeben worden. Wie aus demſelben zu entnehmen, finden vom 6. bis 9. je⸗ weils Morgens 9 Uhr Berſammlungen und Sitzungen in der „Harmonie“ ſtatt. Am Mittwoch den 6., Morgens 10 Uhr, wird die mit dem Congreß ver⸗ bundene Fachausſtellung feierlich eröffnet. Die Nach⸗ mittage und Abende ſind geſelligen Veranſtaltungen gewidmet. 5 — Augsburg, 21. Mai. Eine gräßliche 0 9 Eiferſuchtsſcene ſpielte ſich geſtern in dem benach⸗ barten Lechhauſen ab. Karl Karg, Wirtſchaft zum „rothen Hahn“, woſelbſt ſich ſeiner Zeit das Haupt⸗ quartier der Lechhauſener Diebsbande befand, hatte ſchon längere Zeit ſeine Frau im Verdacht, daß ſie mit dem 32jährigen Brunnenmacher Kaspar Eberle ein unlauteres Verhältniß unterhalte. Karg ver⸗ bot ihm deshalb ſchon mehrmals den Beſuch ſeiner Wirtſchaft, ohne daß dieſer jedoch ſich daran kehrte. Geſtern nachmittag begab ſich Eberle wieder in den „rothen Hahn“ und nahm hinter einem Tiſche Platz. Karg, der inzwiſchen erfahren haben ſoll, daß der neue Anzug, den Eberle trug. denſelben von Kargs Ehefrau zum Geſchenk gemacht worden ſei, zog plötzlich, ohne daß ein Woͤrtwechſel vorausgegangen wäre, ſein langes, im Griff feſtſtehendes Meſſer und ſließ es ſeinem nach auf dem Stuhl ſitzenden Neben: buhler mit aller Gewalt ca. 8 Centimeter tief ins Herz. Eberle erhob ſich noch, ſagte zu Karg: „Das bekommt Dir diesmal ſchlecht“ und ſtürzte im ſelben Momente todt zuſammen. Karg dagegen warf ſein Meſſer weg, griff nach ſeinem Hut und ging lang⸗ ſam auf die Gensdarmerieſtation zu, wo er ſich Herrn Kommandanten Ziegler als Arreſtant meldete. — Freiburg, 20. Mai. Wie man ber⸗ nimmt, ſoll am 1. Juni im Höllenthal der erſte Spatenſtich für unſere Schwarzwälderbahn vor⸗ genommen werden. Die Arbeiten im Dreiſamthale und in unſerer Nähe ſollen im nächſten Jahre und damit zugleich auch die Arbeiten für den in der Vorſtadt Wiehre zu erſtellenden Bahnhof in Angriff genommen werden. Zur Zeit ſind die jenſeits der Dreiſam gelegenen und aus der Oberſtadt zum künftigen Bahnhof führenden Straßen behufs einer Erweiterung derſelben ausgeſteckt, welche noch in dieſ m Sommer zur Ausführung gelangen ſoll. — Köln, 23. Mai. Schon manche ſonder⸗ bare Pſandſtücke ſind öffentlich verſteigert worden, allein neue Särge mogen bis jetzt nur ſelten dazu gehört haben. Am Apoſtelmarkt ſah man heute vormittag elf ſolcher Todtenladen, drei große, drei mittlere und fünf kleine aufgeſtellt, welche gepfändet worden waren und nun an den Meiſtbietenden ver⸗ kauft werden ſollten. Zahlloſe Neugierige umſtanden dieſe Verſteigerungsgegenſtände, die bie den meiſten wohl recht eigenthümliche Gefühle wachriefen. Ob ſich Kaufluſtige gefunden, können wir nicht ſagen, da der Ausbieter bie unſerer Anweſenheit noch nicht ſeines Amtes waltete. Melle, 19. Mai. Durch die That eines 7 kaum vierzehnjährigen na en iſt das blühende Dorf Neuenkirchen (bei Melle in Hannover) ſeit geſteegn einen rauchenden Schutt⸗ und Trümmerhaufen in verwandelt. Geſtern Nachmittag, gegen zwei Uhr, berlin zuͤndete der Sohn des Küfers R⸗deker mit einem ulanien Streichholze Stroh bei dem Wohngebäude ſeinez Modell Vaters an. Die Flammen teilten ſich bald diefen 25 und dem Nebenhauſe mit und binnen einer Stunde ler di brannte, begünſtigt durch den herrſchenden Weſtwind, auſhau das ganze Dorf nieder. Die Scenen, die ſich hier⸗ . uch bei abſpielten, ſpotten aller Beſchrribung. Das 12 ' Feuer griff mit einer ſolchen Schnelligkeit um ſich, Ib N. daß an ein Retten der Habe faſt gar nacht zu 0 9 denten war. Nicht allein die Kirche, das Poſthout, 15 5 die Apotheke und faſt alle anderen Gebäude fielen Abel. dem berheerenden Elemente zum Opfer, ſelbſt die Obſtbäume in den Gärten, die Hecken, Telegraphen'“ de ſtangen, ja — die hölzernen Grablreuze auf dem 0h ei Friedhofe brannten lichterloh. Von dem Wenigen, i was die Einwohner in der Angſt zuſammengeraff und auf den Friedhof, und zum Teil in die Kirche 6 geſchleppt hatten, iſt das Meiſte noch ſpäter ein 0 Raub der Flammen geworden. Von den meunſg] phie Gebäuden des Dorfes ſind nur ſechs vom Brande berſchont geblieben. Heute, wo ſich den meilenwe 9 herbeigeeilten Fremden ein gräßliches Bild der Zer⸗ ſtörung bieter, eteignete ſich eine herzzerreißende In I Scene auf dem mit Trümmer überſäcten Friedhof bei In der Nähe des noch rauchenden Kirchthurmes won — eine Mutter von zehn Kindern damit beſchäffig, noch Wäſche für ihre kleinen Lieblinge unter det halbverkohlten Habe zu ſuchen, als ein ſchwerer Stein ſich vom Kirchthum löſte und der Suchenden mit ſolcher Vehemenz auf das Haupt fiel, daß iht be Gehirn umherſpritzte. Der Urheber all' dieſes Elend hat ſeine That bereits eingeſtanden; ſoeben wird er ins Amtsgerichtsgefängniß zu Melle geführt. 60 —— ſind 120 bis 150 Familien obdachlos geworden Eine Mitten im Felde war, in dichte Kiſſen gehüllt, ſchwer Kranker gebettet, einige Schritte weiter einem Seſſel mit verſchiedenen Kleidungsſtücken gege Wind und Wetter notdürftig geſchützt ein ſchwind, ſüchtig ausſehender ungefähr 20 jähriger jung Mann. Eine lahme Frau wurde in einem Lehn ſtuhle von 4 Männern fortgetragen. Neuenkirchmg ein geſchloſſener Ort von 1300 Seelen, liegt ziemſz dul hoch und war eng gebaut. Die in der Mi 115 ſtehende Kirche iſt vor ſieben Jahren neu erb l worden, nachdem das alte Gotteshaus durch Bl ſchlag erheblichen Schaden gelitten hatte. ltd zu Ju er Ein et ugefloge Eigenh wird heute aus dem Krankenhauſe als geneſen ent⸗ laſſen, und ich ſchrieb ihm, daß er ſich um dieſe Zeit hier einfinden ſolle. Es wird Dir jedenfalls recht fein, liebes Kind, wenn der junge Mann, der übrigens eine recht reſpektable Bildung beſitzt und nur durch unverſchuldetes Unglück an der Fortſetzung ſeiner akademiſchen Studien gehindert wurde, an unſerer Weihnachtsfreude Teil nimmt.“ „Mir iſt alles recht, was Du thuſt, lieber Vater,“ entgegnete Alwine mit einem reizenden Lächeln. „Aber ich will doch jetzt noch einmal nach unſerem Baume ſehen, denn die Eliſe, die damit beſchäſtigt iſt, hat noch einige Verrichtungen in der Küche zu erledigen und da muß ich ſie notwendig abloͤſen.“ ö Damit war das liebliche Kind durch die Thür hinausgeeilt und Herr Wohlmann machte ſich jetzt mit nachdenklicher Miene an die Oeffnung des ei⸗ ſernen Geldſchrankes und holte daraus mehrere Banknoten und Geldrollen, die alsbald als Weih⸗ 1 in die Hände ſeines Perſonals wandern ollten. Herr Wohlman, im Befitze eines der beſten Engros⸗Geſchäfte der Seidenwaarenbranche in den thüringiſchen Staaten, war ſeit etwa 2 Jahren Wittwer. Seine Gattin hinterließ ihm die einzige Tochter, welche der freundliche Leſer ſoeben kennen gelernt, und die es trotz ihrer Jugend verſtand, das ziemlich große Hausweſen ihres Vaters mit Uuſicht und Energie zu leiten. Es darf deshalb auch Niemand verwundern, daß ſie der Stolz ihres Vaters und die Zierde ſeines Hauſes war, eine Zierde, die nicht allein wegen ihrer Anmut und Schönheit, ſondern auch wegen ihres Reichtums einen unwiederſtehlichen Zauber nach außen und hauptſächlich auf die Herzen der jungen Männer ausübte. Sie wußte jedoch bisher alle intimeren An⸗ näherungen der Herrenwelt fernzuhalten und ſie that dies nicht allein darum, weil Sie wußte, daß mit dem Eintritt in den Eheſtand den bisherigen Jugendfreuden mancherlei Schranken auferlegt werden, ſondern auch deshalb, um den Vater und das el⸗ terliche Haus, woran ſie mit kindlicher Liebe hing, nicht ſo früh verlaſſen zu müſſen. Ohnedies hatte ſich auch noch Niemand gefunden, der einen tieferen Eindruck auf ihr Herz gemacht, weshalb ſie auch noch nie in die Verſuchung gekommen, ihren Vor⸗ ſätzen untreu zu werden. Mittlerweile hatte Alwine im Familienſalon für den Ausputz des Weihnachtsbaums, der in der Mitte einer langen Tafel ſeinen Platz hatte, geſorgt. Auf der weißbedeckten Platte ſtanden in zierlicher Reihenfolge eine Anzahl Porzellanteller, die nach altem deutſchen Brauch mit Aepfeln, Nüſſen und Backwerk belegt und mit dem Zettel eines jeden Inhabers verſehen waren. Eben war Alwine damit beſchäftig, mit dem ordnungsliebenden Sinn einer ächten deutſchen Haus⸗ frau die letzte Falte aus dem Tiſchtuch zu ſtreichen, als der Vater vorſichtig den Kopf durch die Thür hereinſteckte, um zu ſehen, ob ſeine Tochter alle Vorbereitungen zum Beginn des Feſtes getroffen habe. „Ich habe hier nichts mehr zu ſchaffen, jetzt kommſt Du an die Reihe, lieber Vater,“ ſagte Al⸗ wine mit gewinnender Freundlichkeit. Wohlmann betrachtete mit zufriedenem Blick das Arrangement und legte dann noch auf jeden Teller ſeine eigene vollwichtige Gabe, welche die Hauptſache der Weihenachtsgeſchenke bildete. Damit zu Ende ſah er auf ſeine Uhr: Es fehlten noch wenige Minuten an vier und dies war die Zeit zum Beginn der Beſcheerung, weil er an dieſem Tage das Perſonal früher entließ, damit es nicht von der Weihnachtsfeier im eigenen häuslichen Kreiſ abgehalten war. Aber noch zögerte er mit der Ausführung weil er immer noch Jemand erwartete. Als fed weitere zehn Minuten vorfloſſen waren, begab i u Vert ſich mit einem Anflug des Unwillens in das Cohſ inpfehlt toir, um ſeinem Perſonal zu bedeuten, daß m das Geſchäſt ſchließen und ſich in den Familienſhh begeben möge. Hiezu bedurfte es einer zweimaligen Auffo Gu derung nicht, bald waren die Läden der Scheel aller Art ſtube geſchloſſen und von dem flammenden Wei nachtsbaum begrüßt, betrat das ſehr zahlreiche Pe ſonal den Salon. Von dem einen Ende der Tafel, an welch 8 Pian g6 der Kaufherr ſeinen Platz hatte, und von wo 86 er eine kurze aber herzliche Anſprache an die Wei weſenden richtete, bis zu dem andern Ende, wo Leere Tochter ihm gegenüberſaß, war das Perſonal i bean Rangſtufe und Altersklaſſe geordnet. Aber ein g Mor war zum Erſtaunen der Anweſenden immer 8 nicht beſetzt, und dieſer Platz fund ſich ganz Ende der Tafel, da wo die Tochter ſaß und wo! Ni jüngſten Mitglieder des Comptoirs ihren Plaz hallt Ache Natürlich riet man hin und her, wer 5 Fehlende ſein könne; es wagte doch Niemand, e 3 Frage auszusprechen, da der Hausherr hier nichts verlauten ließ. Es ſchien jedoch, als ob die ſeinen Unwillen über die Abweſenheit einer and Perſon nur ſchlecht verbergen könne, denn als bald darauf ſeine Tochter nach herkömmlicher Ff an den Flügel ſetzte und die herrlichen Töne 0 Bach'ſchen Synfonie ertönen ließ, lauſchte er nich wie bisher, in ſo andüchtiger Weiſe dieſen Ta denn er hatte faſt beſtändig den Blick auf die 20 geheftet, als müßte der Erwartende jeden Augenbl dort eintreten. (Fortſetzung folgi